Messtechnische und theoretische Untersuchungen zum Luftaustausch in Gebäuden

Ausgangssituation

Die freie Lüftung über Fenster, Türen und sonstige Öffnungen in der Gebäudehülle stellt heute die am weitesten verbreitete Form der Lüftung dar. Der Luftaustausch infolge Fensterlüftung ist besonders schwierig zu erfassen, da er von sehr vielen zum Teil instationären Einflussfaktoren bestimmt wird. Hierzu zählen die Gebäudegeometrie, die vorherrschenden meteorologischen Verhältnisse, die Topographie der Umgebung (thermische und strömungsbedingte Druckgradienten an der Gebäudeoberfläche) und die jeweilige bauliche und nutzungsbedingte Einbau- und Öffungssituation des Fensters. Theoretisch fundierte und experimentell überprüfte Rechenmodelle, die den Luftwechsel bei Fensterlüftung in Funktion aller wesentlichen Einflussparameter beschreiben, sind erst in Ansätzen vorhanden. So existieren theoretische und messtechnische Untersuchungen zum Luftaustausch bei Fensterlüftung in denen, je nach Autor, die Öffnung des Fensters mit ihrem Strömungswiderstäden unterschiedlich beschrieben wird. In die Betrachtung des Luftaustausches durch große Öffnungen ist auch der Infiltrationsluftwechsel durch Undichtheiten in der Gebäudehülle einzubeziehen. Anforderungen bezüglich der Reduzierung des Energieverbrauchs und der Komfortsteigerung erfordert die genauere Quantifizierung des Luftaustausches in Gebäuden. Möglichkeiten hierzu bieten die Multizonen-Infiltrations-Modelle. Für die betrachtete Problematik stellt die Entwicklung des Modells COMIS, welches von einer internationalen Forschergruppe erstellt wurde, die wichtigste Arbeit der letzten Jahre dar. Für die Überprüfung der Anwendbarkeit dieses Verfahrens besteht derzeit die Notwendigkeit des Vergleichs der simulierten Werte mit Messdaten.

Forschungsziel

Zielsetzung des Forschungsvorhabens ist es, den Einfluss der Fenstergeometrie, -öffnungs und -einbausituation hinsichtlich der strömungsmechanischen Auswirkungen auf den Luftaustausch bei Fensterlüftung zu untersuchen. Auf der Basis theoretischer und experimenteller Untersuchungen sollen Rechenmodelle angepasst, beziehungsweise weiterentwickelt werden. Über den derzeitugen Stand der Kenntnisse hinaus soll, neben der detaillierten Betrachtung der Einbausituation des Fensters, insbesondere die Querlüftung einbezogen werden. Weiterhin soll auch der Luftwechsel infolge Infiltration sowohl theoretisch als auch experimentell in die Untersuchungen einfließen. Mit Hilfe der gewonnenen Grundlagen können über bekannte Nutzermuster Jahressimulationen des thermischen Gebäudeverhaltens abgeleitet werden, aus denen repräsentative Luftwechselraten für statistische Berechnungsverfahren abgeleitet werden.

Untersuchungsprogramm

  • Versuchseinrichtung

Die messtechnischen Untersuchungen erfolgen in einem für experimentelle Untersuchungen vorgesehenen Versuchsgebäude des Fachgebietes Bauphysik der Universität Kassel. Das Versuchsgebäude besteht im wesentlichen aus einem Prüfraum mit einem Volumen von 58,5m3, einem darunterliegenden Kellerraum und dem direkt über dem Prüfraum liegenden Kriechboden als Pufferräume, sowie einem Dachboden. Es ist exakt nach den Haupthimmelsrichtungen ausgerichtet. Zur Nord- und Westseite hin befindet sich zwischen Prüfraum und Außenwand jeweils eine Pufferzone von etwa 1m Breite. Zur Südseite hin befindet sich in dem Prüfraum ein Fenster mit einem Dreh- und einem Kippflügel. Der gesamte Messaufbau ist innerhalb des Versuchsgebäudes auf den Dachboden, den eigentlichen Mess- oder Prüfraum und den als Laborraum eingerichteten Kelleraum verteilt.

Die messtechnische Ermittlung des Zu- und Abluftvolumenstroms beziehungsweise des Luftwechsels erfolgt durch ein indirektes Messverfahren. In die betrachtete Messzone wird ein geeignetes Tracergas (Spurengas) eingebracht und der Verlauf der Tracergaskonzentration innerhalb der Messzone aufgezeichnet. Anschließend läßt sich aus dem ermittelten zeitlichen Konzentrationsverlauf mit Hilfe eines mathematischen Auswerteverfahrens der Zuluftvolumenstrom beziehungsweise der Luftwechsel berechnen. Der Versuchsaufbau ermöglicht Messungen mit der Konzentrationsabfall- und Konstant-Konzentrations-Methode. Es stehen zwei komplette Tracergas-Messeinrichtung mit den Messgasen N2O und SF6 zur Verfügung.

Eine direkt am Versuchsgebäude installierte Meteorologiestation liefert die dazugehörigen meteorologischen Daten.

  • Versuchsprogramm

Mit Hilfe der oben beschriebenen Versuchseinrichtung wird der Luftwechsel unter natürlichen meteorologischen Randbedingungen gemessen. Es kommt die Konstant-Konzentrations-Methode zum Einsatz, die eine kontinuierliche Erfassung des Luftaustausches ermöglicht. Somit wird gewährleistet, dass eine große Anzahl verwertbarer Messdaten für die unterschiedlichen, relativ schnell wechselden meteorologischen Randbedingungen gewonnen werden. Es wird angestrebt, die Messungen insgesamt über einen Zeitraum von ca. 6 Monaten durchzufüren.

Um den Einfluss eines tief in der Laibung angeordneten Fensters zu untersuchen, werden Messungen mit um die Fenster herum angebrachten Rahmen durchgeführt. Hierbei werden systematische Veränderungen sowohl der Fensterstellung als auch des seitlichen Abstandes vom Rahmen und der Rahmentiefe vorgenommen.

Weiterhin sollen Messungen bei Querlüftung durchgeführt werden. Hierzu ist es erforderlich, den Versuchsaufbau anzupassen, wobei insbesondere regelungstechnische Untersuchungen durchzuführen sind, um den Einsatz der Konstant-Konzentrations-Messmethode bei den zu erwartenden hohen Luftwechseln zu ermöglichen. Die Messungen bei Querlüftung erfolgen unter Verwendung beider Tracergas-Messeinrichtungen. Der Zuluftvolumenstrom über das Fenster wird mit der Messeinrichtung in dem Prüfraum erfasst. Der Einsatz des zweiten Messgases ermöglicht Ausssagen über die Strömungsrichtung durch das Gebäude.

Im Rahmen von Einzelmessungen werden Strömungsprofile an dem geöffneten Fenster mit Hilfe von Hitzdrahtanemometern aufgenommen. Es stehen hierfür Eindraht-Messsonden zur Verfügung, die allerdings keine Aussage über die Strömungsrichtung am jeweiligen Messort zulassen. Die Messungen sollen in Verbindung mit Strömungsvisualisierung mittels Rauch die qualitativen Aussagen hinsichtlich möglicher Kurzschlussströmungen im Fensterbereich unterstützen.

Mit Hilfe einer im Versuchsgebäude installierten Lüftungsanlage ist es auch möglich künstliche Druckdifferenzen vorzugeben und somit Mesungen unter definierten Randbedingungen durchzuführen. Die Messungen zum Infiltrationsluftwechsel erfolgen bei verschiedenen externen (in der Gebäudehülle) und internen Leckageverteilungen.

Druckbeiwerte (cp-Werte) werden auf allen Fassaden und den Dachschrägen erfasst, um Aussagen über die gesamte Gebäudeumströmung treffen zu können. Auf den Fassaden- beziehungsweise Dachflächen werden Einzelmessungen durchgeführt, die Aufschluss geben sollen inwieweit die ermittelten Druckbeiwerte als repräsentativ zu betrachten sind. Es sollen hierbei Druckmessdosen mit hoher zeitlicher Auflösung eingesetzt werden, um auch kurzzeitige Schwankungen der Fassadenanströmung erfassen zu können.

  • Theoretische Untersuchungen

Die aus der Literatur bekannten Ansätze zur Beschreibung des Luftwechsels über Fensteröffnungen werden zur Auswertung der Messergebnisse herangezogen und gegenübergestellt. Hierbei sollen die beiden nachstehende Ansätze spezieller untersucht werden:

Das von PHAFF et al. hergeleitete Modell soll von der derzeitigen, aussschließlichen Betrachtung der einseitigen Fensterlüftung auf den Fall der Querlüftung ergänzt werden. Die Messdaten werden für die Anpassung des Rechenmodells herangezogen, welches den Zuluftvolumenstrom in Abhängigkeit von Windgeschwindigkeit, Temperaturdifferenz zwischen Außen- und Raumlufttemperatur und der jeweiligen Fensterstellung, sowie der Einbausituation beschreiben soll. Die Koeffizienten werden durch eine Chi-Quadrat-Anpassung mit einem vorhandenen Auswerteprogramm ermittelt.

Die von VAN DER MAAS et al. und FEUSTEL et al. beschriebenen Modellansätze, die auf dem Energiesatz für inkompressible, reibungsgehaftete Strömungen beruhen, sollen dahingehend untersucht werden, welche Strömungswiderstände sich für ein vollkommen beziehungsweise teilweise geöffnetes Fenster ergeben. Die Untersuchungen sollen aufzeigen, ob die den Gesamtströmungswiderstand beeinflussenden Größen separat beschrieben werden können oder ob beispielsweise die Anteile der Öffnungsstellung und des jeweiligen Fenstereinbaus zusammengefasst zu betrachten sind. Anzustreben ist die Formulierung der Faktoren mit geometrischen Kenngrößen wie Öffnungsweite, Einbautiefe in der Laibung, seitlicher Abstand von der Laibung, sowie lichter oder projezierter Öffnungsfläche.

  • Validierung des Infiltrations-/Ventilations-Simulationsprogramms

Die Messdaten werden für die Anpassung des vorhandenen Rechenmodells COMIS herangezogen, welches auf einem Massenbilanzierungsverfahren basiert. Die Luftvolumenströme in einem Gebäude, die durch die oben genannten Einflüsse hervorgerufen werden, werden berechnet. Durch einen Vergleich von Messwerten und Simulationsergebnissen wird das Programm zur dynamischen Simulation von Infiltrations- und Lüftungsvorgängen validiert, beziehungsweise abgestimmt. Zur Beschreibung des Luftaustausches über große Öffnungen erscheint es derzeit erforderlich, das genannte Rechenmodell hinsichtlich der zu unterschenden Fälle einseitige Fensterlüftung und Querlüftung mit den oben genannten Ansätzen zu ergänzen beziehungsweise zu modifizieren.

Laufzeit

09 / 1997 - 08 / 1998

Mittelgeber

DFG-Forschungsvorhaben HA 1896/11-1

Literatur

  • Feustel H. E. et. al.: Fundamentals of the Multizone Air Flow Model - COMIS. Air Infiltration and Ventilation Centre, Technical Note AIVC 29, 1990.
  • Phaff, J. C. et. al.: Ventilatie von Geouwen. Onderzoek naar de Gevolgen van Het Openen van een Raam op Het Binnenklimaat von een Kamer. Instituut voor Milieuhygiene en Gezondheidstechniek, Delft, Niederlande, Rapport C 448, 1980.

  • Van der Maas, J et. al.: Air Flow Through Large Openings in Buildings. Annex 20: Air Flow Patterns within Buildings. Subtask 2: Air Flows between Zones. International Energy Agency, Energy Conservation in Buildings and Community Systems Programme, 1992.