Lehre

WiSe 2025/26

Wohnkulturen - Wohnen in Transformation

Um zeitgemäße Wohnformen zu realisieren muss die Stadt, nach innen, weiterentwickelt werden. Dabei geht es nicht allein um räumliche Dichte und einen reduzierten Flächenverbrauch. Es geht um soziale Dichte, um das produktive Miteinander von Menschen, Tieren und Pflanzen, es geht um neue Ökonomien und Ökologien des Zusammenlebens, alternative gemeinschaftliche Lebensweisen jenseits der Kernfamilie, neue Formen der Arbeit und Produktion, neue Verhältnisse und Beziehungen.

Krisen und Innovationen, sich stetig verändernde gesellschaftliche, klimatische und demografische Bedingungen sind die Motive dieser Transformationsprozesse. Allein regelbasierte, technische, verallgemeinernde Lösungen werden dieser Komplexität nicht gerecht. Vielmehr müssen fortschrittliche Ansätze situativ, relational und kooperativ entwickelt werden. Architektur ist hier nicht übergeordnet formal raumbildend sondern vielmehr eine dynamisch im Raum handelnde Praxis die Qualitäten aus dem Bestehenden heraus gestaltet. Dabei sind gerade architektonische Qualitäten entscheidend um Transformationsprozesse erfolgreich zu initiieren, zu motivieren und zu realisieren. Umbauten und Ergänzungen werden dann positiv erlebt und unterstützt, wenn die Zukunft noch schöner ist als die Gegenwart. 

Gleich in der Nähe zum Campus, im Stadtteil Wesertor, entlang der Mönchebergstraße finden wir ein heterogenes Ensemble von verschiedensten Wohnbauten, Nebengebäuden Gewerbebetrieben und Freiräumen, das sich eignet um Themen wie Wohnen und Arbeit, Innen und Außen, Klimaresilienz und Einfaches Bauen zu erörtern und zu erproben. Es gibt dort ein Wohnhaus aus den 50er Jahren mit vollversiegeltem Garagenhof, angrenzend ein gründerzeitliches Gebäude mit Remise. In der Nachbarschaft befinden sich die Villa Rühl und die alte Gastwirtschaft Zum Möncheberg. Dazwischen ein Gewerbebau. Weiterhin Parkplatzflächen, ein Autoservice, ein Asiamarkt, ein Restaurant, ein Gesundheitszentrum. Es gibt hier Gärten und Wiesen, einen kleinen Teich und versteckte Wege. Eine ganze Welt also. 

Villa und Gasthof sind vakant und können umgenutzt und ausgebaut, die anliegenden Nebengebäude in die neuen Nutzungen miteinbezogen werden. Das Wohnhaus kann erweitert, die Garagen und Parkplätze können überbaut, an die Brandwände kann angebaut werden. Die Gärten werden als gemeinschaftliche oder private Räume Teil der Wohnlandschaft. Das Potential an Leerständen, freien Flächen, unterschiedlichen Gebäude- und Freiraumtypologien ist groß und soll genutzt werden um zeitgenössische Wohnformen zu etablieren und den städtischen Block insgesamt neu zu konfigurieren. Dabei geht es um innovative Konzepte des Zusammenlebens, um spezifische Ergänzungen und einfache Architekturen, die eine Neuverschaltung des Bestands ermöglichen. So agieren und interagieren die diversen Projekte immer im Gesamtzusammenhang der Nachbarschaft.

Das Studio arbeitet in Kooperation mit den Fachgebieten Architektur Stadt Ökonomie / Prof. Gabu Heindl und Landschaftsästhetik im Entwurf / Gast-Prof. Fanny Brandauer, die jeweils auch mit ihren Semesterprojekten im Quartier arbeiten werden. Gemeinsame Begehungen und Workshops werden unterschiedliche Aspekte und Wissensstände zusammenführen und in die Projektentwicklung einfließen lassen. Weiterhin unterstützen das Dezernat für Stadtentwicklung und die Universität Kassel die Entwicklungsarbeit. Eine Reihe von Inputs und Vorträgen zum Thema Architektur in Transformation ergänzen das Semesterprogramm.

Wohnkulturen, Vertical Studio, Dienstags 14-18h, Raum wird noch bekanntgegeben

 

Garagenhof, Kassel, 2025

Wohnlabor – Weiter Wohnen

Die Transformation, der Um-, An- und Ausbau von bestehenden Gebäuden und Stadtstrukturen ist eine wesentliche urbane Alltagspraxis. Die Stadt wird als Ganzes bewohnt - das Quartier, die Häuser, Räume werden, Innen wie Außen, entlang bestimmter Bedarfe genutzt, angeeignet, erweitert, hergerichtet, geschmückt. Die Umbaufähigkeit von Städten und Gebäuden ist ihre wichtigste Eigenschaft, bezogen auf Aspekte der Resilienz, Nachhaltigkeit und Suffizienz – mithin für ihre Existenz. Weshalb also muss diese Qualität und die damit verbundenen Praktiken in unseren gegenwärtigen Diskursen über die Raumproduktion ganz besonders thematisiert und adressiert werden? Warum sind Themen wie Umbau und Wiederverwertung so politisch? Warum ist es so schwierig die Praxis des Weiterbauens in unserer Gesellschaft zu etablieren und zu realisieren?

Sicherlich ist das enorme Wachstum des 20. Jahrhunderts entscheidend für grundlegend veränderte Planungs- und Baupraktiken - insbesondere im Wohnungsbau. Industrialisierung, Zerstörung, Wiederaufbau, Verstädterung. Die Industriegesellschaften wachsen und bauen – neu und funktionsgetrennt. Sie fertigen in Masse und wenn es geht seriell. Sie konsumieren Gebrauchsgegenstände, Mobilien, Immobilien, Bauland. Mit der modernen Neubaupraxis sind nicht nur gewachsene Strukturen und Beziehungen zerstört worden, es ist auch Wissen verloren gegangen. Wir wissen oft nicht mehr wie man erfolgreich an- oder umbaut. Vielleicht weil wir es oft nicht dürfen - wir bewohnen die Stadt nicht mehr als Ganzes und können sie uns nur zu geringen Teilen wirklich aneignen. Unsere Planungsinstrumentarien, Regeln, Standards sind nicht für die iterativen, relativen, informellen Prozesse des Umbauens ausgelegt. Die Logistik, die Materialzyklen, die Bauweisen entsprechen nicht den Bedarfen kontinuierlicher Umbauprozesse. So müssen wir uns bestimmte Denkweisen und Praktiken erneut erschließen, um die Veränderungen herbeizuführen, die es dringend braucht, seit die Grenzen des Wachstums erreicht sind.

Über die Beschäftigung mit urbanen Umbauprozessen in Berlin und Paris, mit den hybriden Gefügen Tokyos und den Konglomeraten von Peter und Alison Smithson, mit aktuellen Projekten, diversen Um-, An- und Ausbauten, Architekturen, die jeweils das Wohnen in den Beständen der Städte erweitern, aktualisieren und neu konfigurieren werden wir die vielfältigen Aspekte der Thematik des Weiterbauens herausarbeiten. Wir untersuchen Projekte in unterschiedlichen Kontexten - innerstädtischen heterogenen Gefügen, obsoleten Industriearealen, Groß- und Einfamilienhaussiedlungen. Dabei geht es um verschiedenste Dispositionen, Konstitutionen und Konstruktionen – Strukturen, Typologien, Architekturen, räumliche Verfügbarkeiten, soziale Beziehungen, Trägerschaften und Entwicklungsmodelle. Insbesondere werden wir den Zusammenhang von wirksamen Entscheidungen und architektonischen Maßnahmen erörtern, um aufzuzeigen, dass räumliches Handeln immer direkt mit den gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen der Raumproduktion verknüpft ist.

Wohnlabor, Seminar, Mittwochs 10-13h, Raum wird noch bekanntgegeben

La Grancia di Cuna, Italienische Gedanken, Alison und Peter Smithson

SoSe 2025

Wohnkulturen - Wohnen mit Kindern

Der Arbeitstitel ‚Wohnen mit Kindern‘ bezieht sich auf das gleichnamige Projekt von Ottokar Uhl (Jeneweingasse, Wien, 1981), das als Beispiel für Partizipation in der Planung und Mitbestimmung im Wohnungsbau bekannt geworden ist. Im Gegensatz zu diesem gemeinschaftlichen Projekt ist im Kontext des geförderten Wohnungsbaus, der auf vermeintlich egalitären, verallgemeinernden und zuweisenden Standards basiert, das Wohnen mit Kindern bis heute eigentlich nur im Kreis der Kernfamilie vorgesehen. Andere Formen des Zusammenlebens, diverse Gemeinschaften, komplexere Familien, differenzierte Wohnweisen werden hier selten antizipiert und unterstützt.

Wir nehmen die Thematik zum Ausgangspunkt, die Dispositionen des geförderten Wohnungsbaus zu hinterfragen und entlang vielfältiger Bedarfe zu interpretieren. Wie können im Rahmen von bestehenden Regeln, Vorgaben und Richtlinien Wohnbauten entwickelt werden, die gegenwärtigen Lebensmodellen entsprechen, die Selbstbestimmung und Mitgestaltung ermöglichen?

Konkret geht es um die Integration verschiedener Wohnformen, in die demnächst von einer Wohnungsbaugesellschaft zu errichtenden Wohnhäuser entlang der Franz-Künstler-Straße in Berlin Kreuzberg. Es soll insbesondere untersucht werden, ob komplementär zu dem grundlegend angebotenen Wohnungsmix Wohnraum für generationsübergreifende Wohngemeinschaften geschaffen werden kann. Weiterhin sind Wohneinheiten für Geflüchtete geplant, zudem auf der Erdgeschossebene kleine Gewerbeeinheiten, Ateliers und Werkstätten. All diese Formate weichen von den üblichen Standards ab. In Reflektion dieser Problematik sollen Wohnarchitekturen entwickelt werden, die ein alternatives Wohnen und Arbeiten ermöglichen.

Die Projekte entstehen in Kooperation mit dem Team von Lokalbau, das seitens des Bezirks Berlin Kreuzberg an der gemeinwohlorientierten Quartiersentwicklung arbeitet, die Projektarbeit wird begleitet von der Wohnungsbaugesellschaft Gewobag sowie dem Stadtplanungsamt des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg.

Wohnkulturen, Vertical Studio, Dienstags 14-18h, ASL 3108

Spring Projekt, 1960, Fotografie (Ausschnitt): Alex Waidmann

Wohnlabor - Soziales Wohnen

Als Wortpaar ist Soziales Wohnen (engl.: social housing) fast schon ein Pleonasmus. Was am Wohnen ist denn nicht sozial? Hier zeigt sich ein Dilemma: Als sozialer Wohnungsbau werden Wohnprojekte bezeichnet, die subventioniert sind um leistbares Wohnen für Menschen zu ermöglichen, die sich sonst aufgrund ihrer Einkünfte keinen Zugang zu Wohnraum verschaffen können. Diese Form des Wohnungsbaus wird also als sozial bezeichnet, weil sie ‚hilft‘ und nicht unbedingt, weil sie unser Zusammenleben besonders gut organisiert und gestaltet. Dabei ist eins der grundlegenden Prinzipien die Planung der Wohnungen für Unbekannte. Das System basiert auf Zuweisungen, Regeln und Normen die für alle gelten sollen – Individualisierung, gemeinschaftliche Teilhabe, Mitbestimmung, spezifische Aushandlungen, das Recht sich das eigene Wohnumfeld anzueignen und es zu transformieren wird zugunsten einer objektivierten Gleichbehandlung zurückgestellt. Der kleinste gemeinsame Nenner ist allerdings oft ein Kompromiss der zum Mittelmaß neigt.

Der soziale Wohnungsbau hat dennoch sehr differenzierte Architekturen hervorgebracht – überhaupt eigentlich einen großen Teil dessen was wir heute unter Wohnungsbau verstehen. Immer wieder zeigt sich dabei, dass Standard und Mitbestimmung kein Widerspruch sein müssen, dass Aneignung durchaus, oder vielleicht gerade, in generischen Wohnbebauungen ermöglicht ist. Vielleicht weil ein großer Teil der Wohnbedarfe, -praktiken und -vorstellungen der Bewohnenden doch recht ähnlich sind - es also einen großen gemeinsamen Nenner gibt?

Sozialer Wohnungsbau wird in unterschiedlichen zeitlichen und örtlichen Kontexten, aus differenzierten Motiven heraus realisiert. Am Anfang sind es Stiftungen für Arme oder Alleinstehende, später Wohnungen für Arbeiter*innen bis dann der Wohlfahrtsstaat die Wohnraumproduktion reguliert. Die in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts einsetzende Deregulierung verschiebt wiederum die Prämissen und Bedingungen des Wohnungsbaus. Im Wohnlabor untersuchen wir beispielhafte Projekte des geförderten, leistbaren Wohnungsbaus aus verschiedenen Epochen der europäischen Stadtentwicklung. Von der Fuggerei in Augsburg über die Anfänge des modernen Wohnungsbaus während der Industrialisierung in England und Frankreich und die Projekte des Massenwohnungsbaus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Niederlanden und Skandinavien, bis hin zu zeitgenössischen Beispielen wie den Projekten zur Erweiterung der Cité Manifeste in Mulhouse.

Wohnlabor, Seminar, Mittwochs 10-13h, R. 0401, A-B 2

Fuggerei, Augsburg, 1521

WiSe 2024/25

Wohnkulturen - Apollo Kreuzlingen

Das Apollo in Kreuzlingen ist ein altes Kino. Noch in den 30er Jahren erhält es einen ersten Anbau, für die Betreiber, die nun auch dort wohnen. 1976 schließt das Kino, 2021 kauft eine Stifterin das denkmalgeschützte Gebäude. Im Garten steht ein Mammutbaum und es ist noch ein wenig Platz.

Das Apollo ist heute ein Kulturhaus, dass bereits vielfältige Formate ermöglicht. Hier werden Filme gezeigt, Essen und Feste veranstaltet, es gibt Ausstellungen und Workshops, im Garten wird gepflanzt. Das Apollo ist ein grenz- und generationenübergreifendes Projekt und versteht sich als Ort der Vernetzung in der Stadtgesellschaft. In den nächsten Jahren soll das denkmalgeschützte Gebäude in Teilschritten saniert und ausgebaut werden. Ein Wohnprojekt wird den bestehenden Gebäudekomplex erweitern. Das Kulturhaus ist dann auch ein Wohnhaus für eine Wohngemeinschaft und Künstler*innen die dort temporär arbeiten. Das Kino wird zur Villa …

Hier verbinden sich unterschiedlichste Praktiken und Formen des Bewohnens und es stellen sich viele Fragen, die ganz grundlegend für die Entwicklung von Wohnprojekten relevant sind. Es geht um vielfältige Formen des Zusammenlebens, um die Verhandlung und die Schnittstellen zwischen öffentlichen und privaten Raumprogrammen, es geht um gemeinschaftliche und private Raumbedarfe, um soziale Erschließungssysteme, alte und neue Konstruktionen, um schöne, suffiziente und nachhaltige Gestaltungen. Gemeinsam mit den zukünftigen Bewohner*innen und weiteren im Haus agierenden Gruppen, entwickeln wir Konzepte für die Erweiterung, Nutzung und Aneignung des Gebäudeensembles. Dazu arbeiten wir vor Ort, verschaffen uns Einblick in bestehende Praktiken und diskutieren neue Bedarfe. Darauf aufbauend entwickeln wir konkrete architektonische Vorschläge für innovative kollektive Wohnformen.

Wohnkulturen, Vertical Studio, Donnerstags 14-18h, AStA Lernfläche

 

Bild: Apollo Kreuzlingen
Apollo, Kreuzlingen, Installation Anna KubelТk, 2024

Wohnlabor - Kollektive Wohnformen

Im Wohnlabor untersuchen wir beispielhafte, realisierte oder konzipierte, Architekturen des kollektiven Wohnens mit einem Fokus auf Projekte, die Kulturarbeit mit gemeinschaftlichem Zusammenleben verbinden. Die Villa Medici, das Bellevue di Monaco, das Zentrum für Kunst und Urbanistik, das Phalanstère, die Kommune von Oneida, das Narkofim, die Sargfabrik. Es geht dabei immer um ganz wesentliche Fragen des Wohnens - um Mischung, Dichte, Gemeinschaft, Öffentlichkeit, Privatheit, Emanzipation. Verschiedene Gewohnheiten und Praktiken werden verknüpft, Wohnkonzepte alternativ zur Kernfamilie entwickelt, Abhängigkeiten beseitigt, von der Hausarbeit, der Kinderbetreuung, geschlechtsspezifischen und sozialen Zuweisungen.

Kollektive Wohnformen sind Laboratorien des Wohnungsbaus. Im Gegensatz zu normierten Wohnprojekten, die oft rein funktional geordnet sind und es den Bewohner*innen lediglich erlauben, die ihnen zugewiesenen Räume zu möblieren, entwickeln sich aus der Selbstermächtigung experimenteller, gemeinschaftlicher Wohnprojekte spezifische architektonische Qualitäten - Elemente und Räume, die die soziale Verfasstheit und Ambition dieser Projekte spiegeln und ein besonderes soziales Zusammenleben verwirklichen. Der Laubengang und der Wintergarten, der Zeltraum und der Spiegelsaal, die Terrasse mit Ausblick in den Garten.

Die methodische Analyse der Referenzprojekte fokussiert darauf, deren wesentliche und spezifische architektonische Qualitäten heraus zu arbeiten, um diese dann in einem weiteren Schritt darzustellen, als Surrogate zu abstrahieren und zu transponieren. Es geht darum, konkrete architektonische Dispositionen und Konstruktionen zu erkennen und diese dann in Zeichnungen, Modellen und weiteren Formaten freizustellen und weiter zu entwickeln. Dabei kann es sich um Raummodelle, Prototypen oder Details handeln – die Formate entwickeln sich in der gemeinsamen Laborarbeit.

Wohnlabor, Seminar, Freitags 10-13h, AStA Lernfläche

Bild: Oneida Community
Oneida Community, Oneida, New York, 1848-1881