Dr. Harald Schmidt

Forschung in der Praxis für die Praxis

Auf Witzenhausen stieß ich zufällig im Jahr 1982. Nach Ausbildung zum Chemisch-Technischen-Assistenten, Zivildienst und dem unbefriedigenden Beginn eines Studiums an der Hochschule für Bildende Künste (HBK) in Kassel war ich auf der Suche nach einer neuen beruflichen Perspektive. Vom Dorf kommend und mit familiärem Bezug zur Landwirtschaft war das Studium der Agrarwirtschaft eine Option. Witzenhausen konnte ich von Kassel aus mit dem Rad erreichen und war deshalb die erste Wahl für einen Besuch. Der Witzenhäuser Charme an einem sonnigen Tag im Mai, das Fachgebiet Alternative Landbaumethoden – damals einmalig in Deutschland – und die gute Studienberatung überzeugten mich.

Das geforderte landwirtschaftliche Praktikum von einem Jahr vor Studienbeginn erschien mir zuerst als eine hohe Hürde. Ich hatte Glück und kam zu einer Bioland-Betriebsgemeinschaft, bei der ich vom ersten Tag an voll in die Arbeiten und das landwirtschaftliche Leben integriert wurde. Das Praktikum hatte einen großen Einfluss auf mein Bild von der Landwirtschaft, auf die Einordnung der Lehrinhalte im Studium und bis heute auf die Richtung meiner Forschungstätigkeit. Heute halte ich ein vorgelagertes, ausgedehntes Praktikum bzw. eine landwirtschaftliche Ausbildung für eine wesentliche Voraussetzung für ein landwirtschaftliches Studium und essentiell für den Praxisbezug der ausgebildeten Agrar-Akademiker*innen.

Dr. Harald Schmidt - Diplome Agrarwirtschaft und Ökologische Umweltsicherung, Abschluss 1992. Aktuell: Ackerbauforschung bei der Stiftung Ökologie & Landbau

Vom Student zum Forscher

Die moderate Lernintensität im Studium ließ Raum für das Erlernen wichtiger Schlüsselqualifikationen, z.B. beim Renovieren in einer Land-WG, bei ausgedehnten Studienarbeiten oder bei hochschulpolitischen Aktivitäten wie z.B. einem Hochschulstreik. Das Leben in der Kleinstadt Witzenhausen mit dem engen sozialen Leben innerhalb der kleinen Studierendenschaft erschien mir auch, die Motivation zu intensiver und tiefgehender Zusammenarbeit im Studium zu erhöhen. Die Kombination aus Praxis und Studium weckte in mir schon früh den Wunsch, Prozesse in der Praxis des ökologischen Ackerbaus wissenschaftlich zu untersuchen und darüber zu begreifen. Eine dreijährige Studienarbeit zur N-Dynamik auf Praxisschlägen war der erste Schritt. Nach dem Aufbaustudium Ökologische Umweltsicherung (vergleichbar mit dem heutigen Master) betreute ich im Rahmen eines EU-Projekts in meiner Promotion einen als Langzeitversuch angelegten Fruchtfolge- und Düngungsversuch – beides auch in Witzenhausen. Dabei lernte ich wesentliche Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens und des Forschungsbetriebs.

Von 1997 bis 2003 setzte ich die wissenschaftliche Feldversuchsarbeit mit meiner Tätigkeit an der Professur für Organischen Landbau an der Universität Gießen fort. Dort war ich zudem intensiv in die Lehre eingebunden und bearbeitete mein erstes selbst beantragtes Praxisprojekt.

Praxisforschung

Seit 2004 führe ich als Projektwissenschaftler selbst eingeworbene Projekte durch – meist bei der Stiftung Ökologie & Landbau (SÖL). Der Nachteil einer jeweils nur auf die Projektlaufzeit beschränkten Anstellung wurde und wird durch das große Maß an Freiheit sowie der Durchführung selbst konzipierter Vorhaben mehr als ausgeglichen. Sowohl mein eigenes Interesse als auch das Fehlen einer Forschungsausstattung bei der SÖL bewog mich dazu, Forschungsansätze auf der Basis von Untersuchungen auf praktisch bewirtschafteten Äckern zu entwickeln. Themen waren z.B. die Analyse ackerbaulicher Probleme, die Beschreibung und Prüfung von Beispielen viehlosen oder pfluglosen Öko-Ackerbaus sowie die mechanische Unkrautregulierung im Kräuteranbau (bei Ökoplant e.V.). Seit 2009 liegt der Schwerpunkt meiner Projekte vor allem beim Anbau von Leguminosen.

Nach 15 Jahren Forschung in der Praxis halte ich diesen wissenschaftlichen Ansatz für eine wichtige Ergänzung der klassischen Feldversuchsforschung. Zwar sind die Ergebnisse oft weniger exakt, der Ansatz bietet aber auch einige Vorteile, z.B.: die Erarbeitung von Resultaten unter Praxisbedingungen; die Möglichkeit Fragestellungen die mit Feldversuchen nur schwer, aufwändig oder langwierig zu untersuchen sind zu bearbeiten; die Einordnung von Forschungsresultaten in ihrer Bedeutung für die Praxis sowie die detaillierte Abbildung der Streubreite von praktischer Landwirtschaft.

Rückblickend hat die intensive Studienzeit in Witzenhausen wesentlich zu meinem Interesse am Ökolandbau, der eingeschlagenen Forschungsrichtung und dem Blickwinkel auf die Landwirtschaft beigetragen.

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