Sebastian Kretschmer

Ökolandbau in Nordamerika, im globalen Süden und Lehre in Witzenhausen

„Planet Witzenhausen“

Als ich zum Sommersemester im Jahr 2000 nach Witzenhausen kam, hatte ich bereits drei Gesellenjahre und meine Lehrzeit als ökologischer Gemüsegärtner in England und den USA auf dem Buckel. Mein Sohn war ein kleiner Knirps von anderthalb Jahren und meine Tochter wurde während meines ersten Sommers in Witzenhausen geboren. Leicht tänzelnd verbrachte ich so manche Vorlesung etwas weiter hinten im Hörsaal, mit dem Baby auf dem Rücken – bleib schön schlafen kleine Maus! Die Jahre in Witzenhausen waren mit die schönsten meiner bäuerlichen Karriere - dort lernte ich Freunde fürs Leben kennen. Stilvoll, in einer Bauernhof-WG in Ziegenhagen, mit Schafen auf der Streuobstwiese, Lucy dem Wollschwein und Tauben auf dem Heuboden verbrachte ich insgesamt vier Jahre auf “Planet Witzenhausen“. Trotz all der wichtigen und schönen Ablenkungen habe ich mir meine Diplom-Titel eher überfliegermäßig und mit summa cum laude innerhalb von vier Jahren erarbeitet. Aufgrund meiner praktischen Erfahrung hatte ich bereits viele Fragen im Kopf und liebte all die Lehrveranstaltungen, die einen starken Praxisbezug hatten. Wo es ging, habe ich unabhängige Projektarbeiten anstelle von Klausuren als Leistungsnachweise gewählt.

 

Sebastian Kretschmer - Diplom I und II Ökologische Landwirtschaft, Abschluss 2003.

Aktuell: Doktorand am Fachgebiet Ökologische Lebensmittelqualität und Ernährungskultur und Lehrbeauftragter für besondere Aufgaben im Ökologischen Gemüsebau, Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften in Witzenhausen

Wtzenhäuser Konferenz und mehr

Eines der Highlights war natürlich die „Witzenhäuser Konferenz“ im Jahre 2002 zum Thema Agrarwende, die ich zusammen mit einem studentischen Team betreut durch Holger Mittelstraß organisiert hatte. Für mich bestand der Reiz und auch die bleibende Wirkung des Studiums der Ökologischen Agrarwissenschaften im Gesamtkunstwerk Witzenhausen – das Ganze war irgendwie größer als die Summe seiner Teile. Es entstand so eine Art Kohärenzsinn aus der Gemengelage Wissenschaft, Landschaft und dem „Mindset der Community“. Jeder konnte sich mit etwas Initiative auch schön einbringen im Uni-Kontext. Ich selbst habe mich damals im LöLa-Verein engagiert, um so manches extra-curriculare Modul auf die Beine zu stellen – vom Streuobstwiesen-Kurs bis hin zum Seminar der Kosmologischen Botanik. Auch meine Bachelor Arbeit habe ich über eine Thematik geschrieben, die voll mein Ding war: Existenzgründung in der Landwirtschaft. Die Diplom II-Arbeit lieferte dann einen Beitrag zur Etablierung einer ganzheitlichen Methodik zur Bestimmung von Lebensmittelqualität, zusammen mit dem 2020 leider viel zu früh verstorbenen Prof. Johannes Kahl.

 

 

Zurück in die Praxis…

Danach ging es dann mit meiner Familie wieder zurück in die praktische Landwirtschaft. Die Füße mussten weiter, doch die Herzen blieben hier! Back in the U.S. habe ich dann für die nächsten zehn Jahre diverse Hofprojekte aufgebaut und mich gleichzeitig als „Geheimrat“ für verschiedene Institute und NGOs versucht. Dort haben wir dann unter anderem die offizielle biologisch-dynamische Lehrlingsausbildung für Nordamerika entwickelt.

Ab 2011 führte mich dann mein Weg vermehrt in den globalen Süden, um mich an internationalen sogenannten Entwicklungsprojekten zu beteiligen. Als Berater im Rahmen der „Corporate Social Responsibility“ Ressorts zweier Kosmetik-Konzerne hatte ich die Möglichkeit, nachhaltige Lieferketten für botanische Ingredienzen aufzubauen. Währenddessen kam ich dem Wunsch der Stakeholder nach, die Lebensgrundlage von indigen und agrarisch geprägten Gemeinschaften durch ökologische Landwirtschaft zu diversifizieren. Während meiner späteren Jahre in den USA lehrte ich „Urban Farming“ an zwei Universitäten und nahm das Angebot der Stadtverwaltung Philadelphia an, einen Ausbildungsbetrieb für Obst- und Gemüsebau auf dem Campus eines Großgefängnisses zu entwickeln und zu leiten.

 

… und zurück in die Forschung

Ab 2018 schloss sich dann der Kreis, der mich mit Johannes Kahl verband und ich Teil seines Teams im Fachgebiet Ökologische Lebensmittelqualität und Ernährungskultur wurde. Hier möchte ich die Forschung zu „Organic Food Systems“ vorantreiben. Seit 2020 erhielt ich zudem das Privileg, ein Hochdeputat Lehre für den ökologischen Gemüsebau am Standort zu füllen. Ein indianisches Sprichwort heißt: “you cannot step into the same river twice.” Dieser Strom jedoch, in den ich hier wieder eingetreten bin, speist sich ungebrochen aus einem Öko-Spirit, der ziemlich genial ist, und zwar „made in Witzenhausen“.   

 

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