Informatisierte Verflechtungen

Informations- und kommunikationstechnische Netze in interorganisatorischen Geflechten


Projektdaten

Laufzeit: 05/1993 bis 11/1995
Förderer: Volkswagen-Stiftung
Bearbeiter: Werner Killian, Martin Wind; zeitw.: Martin Franz

Thema und Ergebnisse

Ausgangspunkt
Der Einsatzbereich moderner Informations- und Kommunikationstechnik in öffentlichen Verwaltungen beschränkt sich schon lange nicht mehr auf die Datenverarbeitung innerhalb einer Behörde, sondern umfaßt in immer stärkerem Maße die Kommunikation mit anderen staatlichen Stellen, mit nichtstaatlichen Organisationen sowie mit den Bürgerinnen und Bürgern.

Mit dem Vordringen der Netztechnik verändern sich die bestehenden Informationsflüsse, Austausch- und Kommunikationsbeziehungen zwischen einzelnen Verwaltungseinheiten sowie zwischen Behörden und ihrer Umwelt. Diese Entwicklung markiert den ersten von zwei Ausgangspunkten, die zur Fragestellung unseres Forschungsprojektes geführt haben.

Als zweiter bedeutsamer Aspekt ist der Abschied von einem Staatsbegriff alter Prägung zu nennen: In Politik- und Verwaltungswissenschaften wurde der öffentliche Sektor lange Zeit idealtypisch als Gebilde mit zentraler, einheitlicher Willensbildung und unproblematischer Willensausführung durch eine hierarchisch organisierte Bürokratie beschrieben. Neuere Theorieansätze weisen demgegenüber darauf hin, daß innerhalb der Verwaltungen horizontal und vertikal kooperierende Akteure durchaus unterschiedliche Interessen entwickeln und durchzusetzen versuchen.

Die Austausch-, Informations- und Kommunikationsbeziehungen zwischen den einzelnen Stellen, die an der Erledigung einer bestimmten Aufgabe beteiligt sind, rücken also nicht allein wegen der technischen Fortschritte, sondern auch wegen beobachtbarer Interessenunterschiede in den Mittelpunkt unseres Forschungsvorhabens. Diese beiden Aspekte stehen dabei in einem Wechselverhältnis zueinander: Einerseits spiegeln die konkreten Einsatzformen moderner Informations- und Kommunikationstechnik immer auch bestimmte Interessenkonstellationen wider, andererseits werden die Möglichkeiten zur Interessenrealisierung durch technische Potentiale mitbestimmt.

Aus diesem Zusammenhang ergibt sich die zentrale Fragestellung unseres Projektes: Welche Auswirkungen hat die Einbindung in eine iuk-technische Vernetzung auf die Positionen der einzelnen Behörden innerhalb des Gesamtgefüges?

Mit dem Einsatz iuk-technischer Netze wandeln sich organisatorische Strukturen, werden Kompetenzen neu verteilt und Arbeitsabläufe umgestaltet. Wie gestalten sich beispielsweise die Beziehungen zwischen einzelnen Abteilungen, unterschiedlichen Behörden desselben Ressorts oder Verhandlungen mit "benachbarten" Ressorts?

Die Analyse dieser Zusammenhänge soll erstens netztechnische Anwendungen in ausgesuchten Bereichen von Landesverwaltungen hinsichtlich Systemtechnik und realisierter Nutzung beschreiben und zweitens die Diskussion um die innere Struktur des politisch-administrativen Systems um eine "iuk-technische" Komponente anreichern.

Empirische Arbeit
Der skizzierten Fragestellung sind wir anhand von Fallstudien in der Landwirtschaftsverwaltung Bayerns und vor allem in den Umweltverwaltungen Baden-Württembergs und Niedersachsens nachgegangen.

Neben umfassenden Dokumenten- und Literaturrecherchen haben wir Leitfaden-Interviews mit Verwaltungspraktikern aus Landwirtschafts- und Umweltministerien sowie der nachgeordneten Behörden geführt. Dabei wurden sowohl die Perspektiven der Systemgestalter als auch die der Systemnutzer erhoben.

In den Umweltverwaltungen werden iuk-technische Netze schon seit geraumer Zeit unter dem Begriff "Umweltinformationssysteme" thematisiert. Derartige Konzepte werden explizit mit dem Ziel einer fach- und behördenübergreifenden Datennutzung entwickelt,um auf diese Weise dem Charakter des Umweltschutzes als Querschnittsaufgabe gerecht zu werden. Mit der Einführung und Nutzung von Umweltinformationssystemen verbindet sich daher der Anspruch, negative Folgen der intra- und interorganisatorischen Arbeitsteilung durch iuk-technische Vernetzung zu beseitigen oder zumindest zu reduzieren.

In welchem Maße dieses Ziel bislang erreicht worden ist, haben wir am Beispiel

überprüft, die neuerdings auch via Internet einen Teil der Daten und Informationen für die Öffentlichkeit bereitstellen.

Um unsere Ergebnisse und Schlußfolgerungen frühzeitig zu überprüfen, haben wir im April 1995 in Kassel einen Workshop durchgeführt, der zugleich dem Erfahrungsaustausch zwischen Verwaltungspraktikern aus verschiedenen Bundesländern gedient hat.

Zentrale Ergebnisse
Unsere Ergebnisse gliedern sich in zwei Teile:

Erstens geht es darum, welche Wirkungen behördenübergreifende Informationssysteme als Instrument oder Medium der zwischenbehördlichen Beziehungen entfalten und welche Folgen sie für die Struktur von Verwaltungssystemen zeigen.

Zweitens behandeln wir behördenübergreifende Informationssysteme als Gegenstand interorganisatorischer Beziehungen. Hier wenden wir uns dem Koordinationsbedarf behördenübergreifender Techniksysteme zu und diskutieren die von uns in der Praxis beobachteten Abstimmunmgsmechanismen.

Der zweite Teil der Ergebnisdarstellung ist weniger Ausgangspunkt als Resultat des Projektes: Zwischen den mit der Informations- und Kommunikationstechnik verbundenen Hoffnungen und den tatsächlich realisierten Effekten in der Verwaltungspraxis klafft noch immer eine große Lücke. Um so mehr Bedeutung haben für uns im Laufe der empirischen Arbeit die behördenübergreifenden Prozesse der Entwicklung und Einführung der Techniksysteme an Bedeutung gewonnen.

Zum ersten Teil der Ergebnisse: Die von uns untersuchten Systeme wurden völlig losgelöst von organisatorischen Überlegungen eingeführt. Wir haben dies als strukturimmanente Technikrezeption bezeichnet. Die Möglichkeiten der aktuellen Technikgeneration werden von den Systemplanern zwar gesehen und in Teilen auch umgesetzt, Veränderungen bestehender Strukturen sind aber nicht das Ziel. Dominant ist vielmehr der Wunsch der federführenden Ministerien, auf Datenbestände der nachgeordneten Behörden unmittelbarer zugreifen zu können.

Und zum zweiten Teil der Ergebnisse: Wir haben in Teilen ein Abrücken von hierarchischen Formen der zwischenbehördlichen Koordination beobachten können. Behördenübergreifende Informationssysteme sind auf die Dauer ohne die aktive Mitwirkung und Unterstützung aller Beteiligten nicht zu realisieren. Diesem Umstand wird in Zukunft stärkere Beachtung zukommen müssen. Wir haben dies in Anlehnung an den in der Organisationsforschung verwendeten Begriff der "Netzwerke" als Koordination zwischen Hierarchie und Netzwerk beschrieben: Mit Organisationsnetzwerken sind Formen interorganisatorischer Koordination gemeint, die sich zwischen den klassischen Mechanismen von Markt und Hierarchie bewegen. Es wäre eine Unterbewertung der nach wie vor in Verwaltungssystemen höchst wirkungsvollen Hierarchie, wenn wir diesen Netzwerk-Begriff auf zwischenbehördliche Beziehungen übertragen würden. Eine Einordnung "zwischen Hierarchie und Netzwerk" aber bringt manche der von uns beobachteten Abstimmungs- und Entscheidungsprozeduren auf den Punkt bzw. beschreibt eine Perspektive für zukünftige Prozesse der Technikentwicklung und -einführung.

Soweit ein kurzer Überblick, weitere Auskunft gibt vor allem unser Abschlußbericht...

Veröffentlichungen

... und noch einige Links

Neben den bereits aufgeführten Verbindungen gibt es zu Umweltinformationssystemen und zur Umweltinformatik eine Fülle weiterer Informationen im WWW; daraus eine kleine Auswahl:


Forschungsgruppe Verwaltungsautomation, Universität Gesamthochschule Kassel

Letzte Aktualisierung : 23. Juli 1999; Martin Wind