Interview: Wie Quantenpunkte den ökologischen Fußabdruck reduzieren können
Prof. Dr. Johann-Peter Reithmaier
Wir am Fachgebiet Technische Physik haben als Teil von BiTWerk immer auch das Ziel, mit unserer Forschung dazu beizutragen, die Auswirkungen von Herstellungstechniken und Materialien auf die Umgebung und damit den ökologischen Fußabdruck zu minimieren.
Gespräch mit Prof. Dr. Johann-Peter Reithmaier, Leiter der Technischen Physik, Direktor des Instituts für Nanostrukturtechnologie und Analytik (INA) und Sprecher des Centers for Interdisciplinary Nanostructure Science and Technology (CINSaT) an der Universität Kassel, Dr.-Ing. Michael Hartung, Leiter des Anwendungszentrums UNIfipp (function-integrating polymer processing) und M.Sc. Matthias Koch, Leiter des Projekts „CoSoWin - Fenster mit integrierten Solarzellen basierend auf der Luminescent Solar Concentrator (LSC)-Technologie zur Energieversorgung“, beide aus dem Fachgebiet Kunststofftechnik unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. Hans-Peter Heim im Institut für Werkstofftechnik an der Universität Kassel.
- Am 4. Oktober 2023 wurden die Nobelpreise für Chemie vergeben. Ausgezeichnet wurden die drei Nanowissenschaftler Moungi G. Bawendi, Louis E. Brus und Alexei I. Ekimov „für die Entdeckung und Synthese von Quantenpunkten“. Auch in der Physik werden Quantenpunkte hergestellt und untersucht. Herr Prof. Dr. Reithmaier, Sie sind in Deutschland und darüber hinaus renommiert für diesen Forschungsbereich. Wo waren Sie, als Sie von der Auszeichnung der Wissenschaftler erfuhren und was ging Ihnen dabei durch den Kopf?
Prof. Dr. J.-P. Reithmaier: Wir hatten ein externes Gruppenseminar, als ich schon vor der Verlautbarung über eine E-Mail-Anfrage von der dpa die Preisträger mitgeteilt bekommen hatte. Da gab es wohl schon gewisse Leckagen. Leider hatte ich so kurzfristig aber keine Zeit zu antworten. Natürlich habe ich mich sehr für meine Kollegen aus der Chemie gefreut. Der Forschungsbereich der Quantenpunkte ist sehr breit aufgestellt. Das sieht man schon daran, dass ich Physiker bin und die Quantenpunkte, die wir hier im Fachgebiet generieren und untersuchen, sich tatsächlich in der Größe, Herstellung und Anwendung deutlich von denen unterscheiden, für die die Nobelpreisträger ausgezeichnet wurden. Quantenpunkte generell bestehen aus 10.000 bis 1.000.000 Atomen eines Halbleitermaterials und sind nur wenige Nanometer groß. Das Besondere an allen Quantenpunkten ist, dass ihre Fähigkeit, Licht zu erzeugen und dabei das ganze Farbspektrum abzubilden, abhängig von ihrer Größe genutzt werden kann. Diese bestimmt die Emissionseigenschaften, also die Wellenlängen, die die Partikel ausstrahlen und damit auch die Farbgebung. Zuvor konnten die Farben nur durch die chemische Zusammensetzung verschiedener Materialien erreicht werden.
- Welchen Ansatz verfolgen Sie als Quantenphysiker und wie unterscheiden sich die Quantenpunkte in der Nanophysik von denen in der Chemie?
Prof. Dr. J.-P. Reithmaier: Die Quantenpunkte, die von den Chemikern entwickelt wurden und aus einer Lösung synthetisiert werden, können beispielsweise in Bildschirmen von Fernsehern, PCs oder Handys mitverarbeitet werden. Sie absorbieren Licht und strahlen dieses wieder aus. Dabei gibt es einen wesentlich breiteren Abstrahlwinkel und dadurch wird die Farbtreue und die Brillianz des Bildschirms verbessert. Diese Quantenpunkte emittieren Lichtspektren, die wir sehen können. Die Quantenpunkte, die wir in der Nanophysik mithilfe eines Abscheideverfahrens während der Herstellung von kristallinen Materialen generieren, haben andere Materialzusammensetzungen und leuchten bei längeren Wellenlängen. Sichtbares Licht liegt zwischen 400 und 800 Nanometer Wellenlänge und wir sind mit unseren Quantenpunkten bei etwa 1300 bis 1500 Nanometern. Das ist vielleicht für einige Insekten und Reptilien sichtbar, aber nicht für uns. Diese Quantenpunkte werden eingesetzt für die Übertragung von Informationen. Hier sind wir dann in der Optoelektronik. Wenn Sie also beispielsweise einen hochauflösenden Bildschirm haben, dann brauchen Sie für die Darstellung sehr viele Informationen. Genauso wie bei einem Telefongespräch oder einer E-Mail werden diese Informationen optisch über Glasfaser übertragen. Für diese Übertragung benötigen Sie einen Halbleiter-Laser und einen Detektor, der das Licht emittiert und wieder auffängt. Dieses wird in elektrische Signale umgewandelt und die sieht man dann auf dem Bildschirm, Fernseher oder PC. Das könnten Bilder oder Videos sein, aber auch Text oder irgendwelche anderen größeren Datenmengen.
- Welche Rolle spielen dabei die Quantenpunkte?
Prof. Dr. J.-P. Reithmaier: Die Quantenpunkte sind das entscheidende Material, denn sie definieren die Licht-Emission, wenn positive und negative Ladungsträger miteinander reagieren. Jeder Quantenpunkt sendet zur gleichen Zeit einen Lichtquant (Photon) aus und bei Milliarden von Quantenpunkten entsteht so sehr viel Licht. Je mehr Quantenpunkte ich habe, desto mehr Photonen erzeuge ich innerhalb eines bestimmten Volumens und innerhalb einer bestimmten Zeitspanne. Durch Quantenpunkte können die hergestellten Halbleiter-Laser effizienter arbeiten, d.h. die Transformation von elektrischer zu optischer Energie ist effizienter im Vergleich zu bisherigen Verfahren. Generell lassen sich mit optischen Verfahren im Vergleich zu elektrischen Signalen wesentlich größere Datenmengen übertragen. Durch diese Technik können mittlerweile bis zu 20 Terrabit pro Sekunde an Daten über eine einzelne Glasfaser übertragen werden. Das entspricht einer Ausstrahlung von etwa 1.000.000 TV-Kanälen gleichzeitig.
- In welchen Bereichen sind (Ihre) Quantenpunkte noch einsetzbar?
Prof. Dr. J.-P. Reithmaier: Hier am Fachgebiet beschäftigen wir uns auch mit sicherer Datenübertragung basierend auf Quanteneffekten. Wenn ich über die Glasfaser Daten übertrage, dann sind die Signale moduliert, ich habe mal mehr, mal weniger Intensität. Während die Daten übertragen werden, kann ich sie aber theoretisch detektieren und die Daten herauslesen. Wenn es aber z.B. ein Verschlüsselungscode ist, dann sollte man den ja nicht öffentlich machen und kann ihn also schlecht über eine Faser übertragen. Mit bestimmten Quantenkommunikationsverfahren können wir über einzelne Photonen (Lichtquanten) Daten übertragen und damit gleichzeitig sicherstellen, dass niemand anderes die Daten abgreifen kann. Falls man Daten über einzelne Photonen überträgt, dann fällt es sofort auf, dass ein Photon fehlt und kann die Übertragung wiederholen. Zur Erzeugung dieser einzelnen Photonen verwenden wir Quantenpunkte. Wenn ich hier wieder Ladungsträger zusammenbringe, dann emittiert in meinem Quantenpunkt ein Photon, also ein Lichtquant. Die Eigenschaften von diesen Quantenpunkten stellen sicher, dass nur ein Photon entsteht. Dieser Bereich ist in der Entwicklung. Dann gibt es noch den Bereich Quanten-Computing oder Quanten-Sensorik, bei der diese Nano-Strukturen der Quantenpunkte sehr wichtig sind. Bei Quanten-Computing geht es um Datenverarbeitung. Bei der Quanten-Sensorik ist es möglich, mithilfe von Quantenpunkten die Sensorik bestimmter Geräte und Techniken zu verbessern, etwa bei Mikroskopen und Messungen auf Nano-Ebene.
- Herr Dr.-Ing Hartung, Ihr Ziel ist es, Funktionen in Kunststoffe zu integrieren. Was ist der Vorteil daran?
Dr.-Ing. M. Hartung: Bei Kunststoffen denken viele Leute an Verpackungen und Gebrauchsgegenstände wie Mobiltelefone und Küchenutensilien. Hier erfüllen sie den Zweck der Formgebung und Geometrie. Wenn man aber einem Kunststoff elektrische, magnetische, wärme- oder lichtleitende Partikel wie etwa Quantenpunkte hinzugibt, werden diese Funktionen in den Kunststoff integriert. Somit können Kunststoffbauteile elektrische Signale leiten, als Batteriegehäuse Wärme ableiten oder wenn es um Quantenpunkte geht, Licht absorbieren und weitergeben. Neben der Zugabe von Partikeln kann in einen Kunststoff eine Funktion über ein Schichtsystem integriert werden. Hiermit ist man zum Beispiel in der Lage, lichtdurchlässige Kunststoffe auf Knopfdruck abzudunkeln oder aber über sogenannte elektroaktive Polymere einfache Sensoren oder Aktoren zu bauen. Bei sämtlichen Anwendungen spielt die Verarbeitung eine entscheidende Rolle, ob die Funktion im Kunststoff erhalten bleibt. Das macht die Funktionenintegration für uns Ingenieure so interessant, denn wir möchten mit unserer Forschung den Transfer der Technologien vom Labormaßstab in die Wirtschaft erleichtern.
- Sie können also auch Quantenpunkte in Kunststoff integrieren? Was ist das Besondere für Sie als Ingenieure an Quantenpunkten?
Dr.-Ing. M. Hartung: Ja genau. Wir verwenden ähnliche Quantenpunkte wie diejenigen, die von den Chemie-Nobelpreisträgern entwickelt wurden. Durch ihre geringe Größe im Nanometerbereich haben sie besondere Eigenschaften in Bezug auf die Wechselwirkung mit Licht. Wie schon von Herrn Prof. Reithmaier beschrieben, können sie sich in Abhängigkeit der Größe bei Licht in andere Wellenlängen umwandeln, man spricht hier vom sogenannten „Quantum Shift“. Auch bei der Photovoltaik-Technik ist dieser Effekt von Vorteil. In transparente Kunststoffe eingemischt, können diese einzigartigen Eigenschaften der Quantenpunkte für stromproduzierende Fenster genutzt werden.
- Mit einem Fenster Strom produzieren, das hört sich spannend an! Herr Koch, Sie haben mithilfe von Quantenpunkten eine smarte und effiziente gebäudeintegrierende Photovoltaikanlage entwickelt. Wie sind Sie vorgegangen und wie funktioniert die Technik?
M.Sc. M. Koch: Wir haben in eine transparente Kunststofffolie Quantenpunkte integriert, die auf die Glasscheibe eines Fensters aufgebracht wird. Diese Quantenpunkte, die zwischen 8 und 12 Nanometer groß sind, werden erst in ein Kunststoffwachs als Trägermaterial eingebracht und anschließend zu Folie weiterverarbeitet. Auf der Folie werden die Sonnenstrahlen teilweise absorbiert. Anschließend wird die Strahlung rotverschoben wieder emittiert und teilweise im Glas festgehalten. Die eingeschlossene Strahlung wird am Fensterrand durch angebrachte Photovoltaik in elektrische Energie umgewandelt und kann dort verwendet werden. Das Prinzip dahinter ist die LSC-Technologie.
- Was ist das Besondere bzw. das Ziel an dieser Technik und wie weit sind Sie in der Entwicklung?
M.Sc. Matthias Koch: Das Ziel ist es, Fensterflächen als Energieerzeuger zu gewinnen. Die Quantenpunkte sorgen durch Absorption von Sonnenlicht und Emission im nahinfraroten und infraroten Bereich dafür, dass elektromagnetische Strahlung im Lichtleiter Fensterglas „gefangen genommen“ werden kann. Dort wird die Strahlung über totale interne Reflektion an den Rand des Fensters gebracht, wo Photovoltaik angebracht ist. Dort wird die Energie dann in elektrische Energie umgewandelt und steht zur Verfügung. Mit dieser innovativen Technik ist es nun möglich, Energiegewinnung in Gebäuden an Stellen zu integrieren, die vorher nicht zugänglich waren.
Prof. Dr. J.-P. Reithmaier: Außerdem ist es möglich, an der Kante des Fensters hocheffiziente Detektoren zu verwenden, weil man sie nicht großflächig einsetzen muss. Hier reichen vielleicht wenige 10-100 Quadratzentimeter aus, während Solarzellen auf dem Dach schon eher 100 Quadratmeter einnehmen können, um dieselbe Energie zu erzeugen. Da kann man sich dann auch um den Faktor 100 höhere Kosten für die Solarzellen leisten, die verbaut werden. Das ist auf jeden Fall ein schönes Beispiel dafür, neue intelligente Materialien zu entwickeln, die es erlauben, Materialien mit verschiedenen Funktionen zu kombinieren.
- Wann wird die Technologie großflächig an Gebäuden eingesetzt werden können?
M.Sc. M. Koch: Ein Demonstrator-Fenster der Firma Walter Fenster + Türen Kassel, das gemeinsam mit uns entwickelt wurde, soll demnächst in Kassel Waldau am Unternehmensgebäude von Vonovia eingebaut werden. Dabei kommt jedoch leider noch nicht die Folie zum Einsatz, da sie durch nur sehr gering verfügbare Mengen von Quantenpunkten noch nicht in der benötigten Größe gefertigt wurde. Wir hoffen, für die Zukunft Partner zu finden, die die ausreichende Menge herstellen können, sodass diese Technologie zur Anwendung kommt.
- Das bringt mich zur letzten Frage. Die Integration von neuen Funktionen in verschiedene Materialen kann zur Effizienzsteigerung führen und damit dazu beitragen, dass natürliche Ressourcen geschont werden. Dies ist ein Ziel des Forschungsclusters BiTWerk - Biologische Transformation technischer Werkstoffe, dem über 20 Professor:innen der Universität Kassel angehören. Sie sind ebenfalls mit ihren Fachgebieten Teil des Clusters. Wie ordnen Sie Ihre Forschung dort ein?
Dr.-Ing. M. Hartung: Ziel von BiTWerk ist es, Komponenten und deren resultierende Werkstoffeigenschaften beginnend mit den Produktionsprozessen über die Nutzung bis hin zum Recycling als untrennbare Einheit zu betrachten, um somit eine vollständig biologisierte Prozesskette zu etablieren. Hierzu wird in verschiedenen Fachbereichen der Universität Kassel interdisziplinär zusammengearbeitet. Die Kunststofftechnik ist hier zentraler Bestandteil, denn durch die Integration möglichst vieler Funktionen mittels molekularer Nano- und Mikrokomponenten in Kunststoffe wird die Herstellung vieler Einzelkomponenten mit individuellen Funktionen vermieden und damit der ökologische Fußabdruck verkleinert.
Prof. Dr. J.-P. Reithmaier: Auch wir an unserem Fachgebiet haben ganz im Sinne des Forschungsclusters BiTWerk immer auch das Ziel, mit unserer Forschung dazu beizutragen, die Auswirkungen von Herstellungstechniken und Materialien auf die Umgebung zu minimieren und neue Funktionsmaterialien für Anwendungen zu entwickeln. Dazu wurde vor kurzem ein DFG-Projekt bewilligt, um die Grundlagen von neuartigen nanostrukturierten optoelektronischen Materialien zu erarbeiten, die so in der Natur nicht vorkommen. Um das Anwendungspotential zu erforschen wurde parallel dazu ein EU-weites Verbund-Projekt mit Partnern aus Forschung und Industrie beantragt. Es adressiert auch hier wieder die optischen Eigenschaften von Quantenpunkten. Im Zentrum der Forschung steht das Halbleitermaterial Silicium. Die Herstellung von optisch aktiven Halbleitern mit den bislang verwendeten Materialien wie Arsen, Gallium, Indium oder Aluminium ist aufwendig, teuer und schädlich für die Umwelt. Silicium jedoch kann leicht aus vielen unterschiedlichen Rohstoffen, z.B. Silikate, die den Hauptbestandteil der Erdkruste darstellen, gewonnen werden. Darüber hinaus belastet der Abfall von Silicium nicht die Natur. Das Halbleitermaterial hat nur einen Nachteil, es kann nicht selbst zur Lichterzeugung verwendet werden. Deswegen kann man Silicium nicht für die Herstellung von Leuchtdioden oder Laser verwenden. Wir versuchen nun durch eine Modifikation des Silicium-Materials selbst die Eigenschaften so umzuwandeln, dass es ebenso gut geeignet ist zur Herstellung von optisch aktiven Halbleitern wie die bisherigen Verbindungshalbleiter (GaAs, InP, etc.). Damit würden wir mindestens vier Größenordnungen an umweltbedenklichen Materialien einsparen und zur Nachhaltigkeit auf der Erde beitragen.
Weiterführende Infos:
INA – Institut für Nanostrukturtechnologie und Analytik
https://www.uni-kassel.de/forschung/ina/institut-fuer-nanostrukturtechnologie-und-analytik-ina/
CINSaT - Center for Interdisciplinary Nanostructure Science and Technology
https://www.uni-kassel.de/forschung/cinsat/startseite
Anwendungszentrum UNIfipp