Sommersemester 2019

Vorlesung

Mittwochs, 10-12 Uhr

Arnold-Bode 12 - Hörsaal 4

2004 fragte der englische Historiker Peter Burke, was denn eigentlich Kulturgeschichte sei, wo doch die starke Ausdifferenzierung und Abgrenzung gegenüber der Politik- und Wirtschaftsgeschichte keine längerfristig geltende Definition hervorgebracht habe. Kulturgeschichte könne, so Burke, sowohl über Methoden wie auch über national unterschiedliche Ausprägungsformen erzählt werden. Gemeinsam sei der Kulturgeschichte, so Achim Landwehr, dass mit den Ansätzen der (neueren) Kulturgeschichte vor allem die Prozesshaftigkeit und die Perspektive historischer Ereignisse und weniger das Objekt (Mensch, Staat. Gesellschaft) in den Mittelpunkt gerückt würde.

Diese von Burke wie Landwehr hervorgehobenen Perspektiveneinnahme ist geprägt durch Themen wie race und gender, Identität und Alterität, Kommunikation und Medien, Erinnerung, Mentalität und Gedächtnis, Alltag usw. Um diese Zugriffe auf Prozesse beschreibbar zu machen, hat sich die Kulturgeschichte ein nicht unambitioniertes theoretisches Gerüst geschaffen, das in der Vorlesung in ihren wichtigsten Ausformungen erklärt werden soll (z.B. Poststrukturalismus, Postmodernismus). Neue Perspektiven auf die Prozesse wurden hier stets als Wenden (also turns) bezeichnet. Ob man sich dem historischen Prozess eher aus beispielsweise räumlicher (spatial turn), visueller (visual turn) oder postkolonialer (postcolonial turn) Perspektive näherte, oder ob man die sprachliche und symbolische Vermittlung (linguistic turn) als maßgebliche neue Blickachsen verstand, stets wurden damit auch neue Erkenntnisse über die (menschliche) Kultur proklamiert.

In der Vorlesung werden daher sowohl die Anfänge der Kulturgeschichte im 19. Jahrhundert beleuchtet, vor allem aber die "neue" Kulturgeschichte ab den 1970ern als Summe neuer historiographischer Ansätze in den Blick genommen. Dazu werden in einer genalogischen Abfolge auch die verschiedenen kulturellen Wenden vorgestellt und mit empirischen Beispielen aus der europäischen Kulturgeschichte bebildert, so aus der Kulturgeschichte des Wohnens, des Museums oder des Spazierengehens wie auch der des (Zoologischen) Gartens oder des Radios und Fernsehens. Hierzu sollen einschlägige Studien und prominente Vertreter_innen des Feldes bzw. einer bestimmen Perspektive eine entsprechende Einordnung erfahren. Ziel der Vorlesung ist es also, einen Überblick darüber zu vermitteln, wie und in welcher Weise sich Historiker_innen mit Kultur befassen und befasst haben und anhand von Fallbeispielen zu erläutern, wie Veränderungen der Perspektive sich auf die Geschichte als Fach und als Gegenstand ausgewirkt haben.

Literatur zu Vorbereitung:

  • Peter Burke: Was ist Kulturgeschichte? Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005.
  • Achim Landwehr: Kulturgeschichte. Ulmer, Stuttgart 2009.
  • Michael Maurer: Kulturgeschichte - Eine Einführung. Böhlau, Köln 2008.
  • Doris Bachmann-Medick: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. 6. Auflage. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2018.

Seminar

Do, 10-12 Uhr

Moritzstr. 18 Campus Center - Raum 1110, Seminarraum 1

Auschwitz gilt in der historischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust und den Verbrechen des Nationalsozialistischen Deutschland als Epizentrum der Todesfabriken, so der Begriff des israelischen Historikers Gideon Greif, und damit auch als Grundriss erinnerungspolitischer Aufarbeitung. Was dabei wie erinnert werden soll und darf, ist jedoch nicht immer klar konturiert und durchaus volatil. Die Nürnberger Prozesse gaben zwar deutlich vor, dass das "Dritte Reich" ein verbrecherisches Regime war, dessen Taten verfolgt und bestraft und als solche erinnert werden müssen, dennoch zeigten die darauffolgenden Auschwitz- und Majdanek-Prozesse wie selektiv Verbrechen geahndet werden konnten und sollten und dass dies nicht unwesentlich mit der Staatsräson verkoppelt war. Erst zwei Generationen nach den Verbrechen war die "Pflicht zur Erinnerung", so die Stilisierung des ehemaligen Präsidenten des Deutschen Bundestages, Norbert Lammert, auf allen Ebenen, vor allem den bildungspolitischen, angekommen. Für die Bundesrepublik war dies zweifelslos auch eine Eintrittskarte in den Westen, vor allem nach Europa. Nichtsdestotrotz sieht sich diese Pflicht zu Erinnern auch immer wieder herausgefordert, zuletzt durch den Versuch rechter Parteien, den Holocaust seiner besonderen Schwere zu berauben und diesen Zivilisationsbruch als "Vogelschiss" in die weitere deutsche Geschichte einzuordnen.

Ziel des Seminars ist die Einführung in erinnerungspolitische Diskurse und aktuelle Forschungsschwerpunkte rund und um den Erinnerort der "Todesfabrik" Auschwitz-Birkenau. Da die erinnerungspolitische Forschung vermehrt auf die Erlebbarkeit der bestehenden materiellen und immateriellen Erinnerungsorte setzt, muss auch das Seminar in situ arbeiten. Begleitet durch die Lagergemeinschaft Auschwitz, die Mitglied des Internationalen Auschwitz Komitees ist, sollen deshalb nicht nur die Lager (Stammlager und Vernichtungslager Birkenau) selbst besucht werden, sondern auch die Orte, an denen die Forschung zu ihnen stattfindet, wie das Archiv der Gedenkstätte. Der Blick auf unterschiedliche Erinnerungsmöglichkeiten und Erinnerungsorte soll einerseits helfen, Konzepte an Erinnerungen sowohl untereinander und miteinander zu vergleichen und die forschungsorientierte mit der praxisorientierten Arbeit in Gedenkstätten in Beziehung zu setzen, und anderseits zu überprüfen, wie die Erinnerung an die Todesfabrik Auschwitz öffentlich gemacht und als Teil einer Erinnerungsgeschichte produziert wird. Konkrete Forschungsprojekte vor Ort nehmen sich der Umsetzung der erinnerungspolitischen Maßnahmen an. Hier wird im Vordergrund stehen, Fragen zur Erinnerungskultur und der konkreten Umsetzung selbst forschungspraktisch zu erarbeiten.

Für die Studierenden bietet sich einerseits die Möglichkeit, die "Pflicht zur Erinnerung" für sich selbst erfahrbar zu machen, mit der sie sie als angehende Historiker und Historikerinnen in verschieden Kontexten, Schule wie auch Museums oder Gedenkstättenarbeit immer auch wieder konfrontiert werden. Dabei lernen sie andererseits aber auch grundständiges historisches Arbeiten, das gleichsam in einen bestimmten Kontext gestellt werden soll. Die Erinnerungsarbeit an das "Dritte Reich" und den Holocaust bietet ein enormes Potential in der Vermittlung an ein auch außeruniversitäres Publikum und ist damit sowohl für angehende Lehrerinnen und Lehrer praxisrelevant, als auch für Masterstudierende, die nach dem Studium in Museen, Gedenkstätten usw. arbeiten wollen. Wie ein solches Wissen präsentiert werden kann, wie es auch stets neu erforschbar gemacht wird, wird hier beispielhaft erfahrbar gemacht.

Die Teilnahme an der Exkursion nach Auschwitz und Krakau ist verpflichtender Bestandteil des Seminars. Sie findet vom 3.-9.6.2019 statt.

Literatur zur Vorbereitung:

  • Assmann, Aleida (2018). Erinnerungsräume: Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München: Beck.
  • Assmann, Aleida (2014). Der lange Schatten der Vergangenheit: Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München: Beck.
  • Willems, Susanne (2015). Auschwitz: die Geschichte des Vernichtungslagers. Berlin: Ost-Verlag