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19.03.2024 | Internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Lateinamerika

Workshop-Ankündigung: Care in Bewegung. Strategien, Organisierung und Kämpfe um soziale Reproduktion. Organisiert von Sarah Uhlmann und Mike Laufenberg

Autor*innenworkshop am 23./24. Mai 2024, Institut für Soziologie, Friedrich-Schiller- Universität Jena Der Workshop wird durch die Universität Jena und die Universität Kassel gefördert.

Dass Care-Arbeit (sorgen, pflegen, unterstützen, erziehen etc.) und soziale Infrastrukturen (von Gesundheitsversorgung, Kinderbetreuung, Bildung, Wohnraum etc.) notwendige Voraussetzungen der sozialen Reproduktion von Individuen und Gesellschaft bilden, hat als Prämisse zunehmend Eingang in Forschung, Öffentlichkeit und Politik erhalten. In der Geschlechterforschung und feministischen Theorie steht die Care-Frage seit ihren Anfängen im Zentrum, wobei zwei Aspekte besonders hervorgehoben werden: Zum einen wird die vergeschlechtlichte Arbeitsteilung problematisiert, die Frauen – ob unbezahlt im Haushalt und der Familie, oder bezahlt in der stetig wachsenden Gesundheits- und Dienstleistungsökonomie – einen Großteil der notwendigen Care-Arbeit aufbürdet. Zum anderen wird aufgezeigt, dass kapitalistische Wachstumslogiken einer bedürfniszentrierten Care-Logik entgegenstehen und die Grundlagen für eine sozial und geschlechtergerechte Organisation von Care-Arbeit und sozialer Reproduktion untergraben. Vor diesem Hintergrund nehmen – zuletzt katalysiert durch die Corona-Krise – Forderungen nach einem an den Bedürfnissen der Menschen orientierten Umbau von Wirtschaft, Gesellschaft und Alltagsleben zu. Damit soll nicht zuletzt dem Umstand Rechnung getragen werden, dass menschliches Leben grundsätzlich durch Verletzlichkeit, Sorgebedürftigkeit und ein wechselseitiges Aufeinanderangewiesensein bestimmt ist.

Während forschungsgestützte Forderungen nach einer care-zentrierten Gesellschaft lauter werden, bleibt jedoch oft vage, wie und von wem diese unter den gegebenen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen durchgesetzt und realisiert werden können. Der Workshop geht hier von der Beobachtung aus, dass die Care-Forschung im Kontext zugespitzter Krisen zwar weiter an Bedeutung gewonnen hat, jedoch in Hinsicht auf zwei Aspekte weiter zu stärken wäre: Zum einen gilt es, Fragen von Care noch systematischer im Rahmen der gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse der sozialen Reproduktion zu adressieren. Zum anderen sollte die Care-Forschung Tendenzen zur Bewegungsvergessenheit entgegenwirken, indem wichtige Erkenntnisse der sozialen Bewegungs- und Protestforschung miteinbezogen werden. Historisch haben die alten und neuen sozialen Bewegungen – von der Arbeiter*innenbewegung über Frauen- und Behindertenbewegungen, dekoloniale und antirassistische Kämpfe bis zu LGBTIQ-Bewegung und stadt- und wohnungspolitischen Bewegungen – vielerorts in die herrschenden Formen und Organisationsweisen von sozialer Reproduktion interveniert und sich damit in den Wandel von Care-Regimen und alltäglichen Sorgeverhältnissen eingeschrieben. In Bezug auf aktuelle soziale und ökologische Krisen besteht für die Gegenwart somit ein Forschungsdesiderat im Schnittfeld von Care, sozialer Reproduktion und sozialer Bewegungsforschung.

Im geplanten Workshop soll diese Forschungslücke adressiert und bearbeitet werden, indem Fragen danach ins Zentrum rücken, wie Care in Bewegung kommt und durch Bewegungen transformiert wird. Von Interesse ist somit, welche Bedeutung Care innerhalb von und für Bewegungen hat, und welche Praktiken, Strategien und Organisationsansätze in den aktuellen Kämpfen verfolgt werden, um eine emanzipatorische Transformation der sozialen Reproduktionsverhältnisse zu bewirken. Hierbei sollen insbesondere auch Bereiche und Aspekte in den Blick genommen werden, die in der auf die vergeschlechtlichte Arbeitsteilung fokussierenden Geschlechterforschung tendenziell vernachlässigt werden – etwa Fragen nach der Vergesellschaftung von sozialen Infrastrukturen wie Gesundheitsversorgung, Wohnen und Bildung, oder Sorgekämpfen im Kontext hoch marginalisierter und prekärer Lebensbedingungen, etwa in Geflüchtetenunterkünften, Gefängnissen, Lagern sowie peripherisierten Stadtteilen und (Grenz-)Regionen. Damit will der Workshop zugleich ein verbreitetes Problem adressieren, das sich nicht nur häufig bei Bewegungsinitiativen, sondern auch in der sozialen Bewegungs- und Care-Forschung zeigt: das Kaprizieren

auf nur ein Themenfeld. Ein Ziel des Workshops besteht vor diesem Hintergrund darin, Analysen anzustoßen bzw. weiter voranzubringen, die unterschiedliche Bewegungen für eine emanzipatorische Transformation der sozialen Reproduktionsverhältnisse vergleichend in den Blick nehmen und Verbindungspunkte identifizieren.

Wir freuen uns über theoretisch-konzeptionelle und/oder empirische Beitrage aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsfeldern (Sozial- und Politikwissenschaften, Anthropologie, Kritische Geographie, Geschlechterforschung, Rassismus- und Migrationsforschung, Queer und Trans Studies u.a.), die sich mit der Verknüpfung von sozialer Reproduktion, Care- und sozialer Bewegungsforschung befassen. Neben solchen Beiträgen, die sich auf den deutschsprachigen Kontext beziehen, begrüßen wir hierbei ganz besonders Einreichungen, die inter- oder transnationale Perspektiven ins Zentrum rücken. Eine oder mehrere der folgenden Fragen können hierbei im Mittepunkt stehen:

  • Welche Bedeutung nimmt Care innerhalb von sozialen Bewegungen ein, d.h. als Praxis für deren Reproduktion, als Element von Organizing und Bündnisarbeit?
  • Welche Strategien entwickeln soziale Bewegungen, um care-bezogene Forderungen durchzusetzen? (u.a. Streiks und andere Formen von Arbeitskämpfen, direkte Aktionen, Besetzungen, Volksbegehren, Petitionen, Medienarbeit). Über welche Formen strategischer, organisatorischer oder institutioneller Macht verfügen die Initiativen? Welche sozialen, politischen oder juristischen Mittel kommen dabei zum Einsatz?
  • Was sind erfolgreiche, was erfolgversprechende, was gescheiterte bzw. zum Scheitern verurteilte Strategien und Bewegungsansätze? In welchen Bereichen, Sektoren und lokalen Kontexten waren/sind soziale Care-Bewegungen erfolgreich(er), in welchen nicht? Woran liegt das?
  • -  In welchem Verhältnis stehen realpolitische und utopische Ansätze in Kämpfen für eine care- zentrierte Gesellschaft? Was folgt daraus für die Praxisebene?
  • -  Welche Vereinnahmungen von Care-Bewegungen und Kämpfen lassen sich historisch und gegenwärtig feststellen? Wie antworten Bewegungen darauf?
  • -  Welche Verbindungslinien aber möglicherweise auch Reibungspunkte gibt es zwischen verschiedenen Ansätzen, Strategien und Bewegungen in den Bereichen von Care und sozialer Reproduktion?
  • -  Welche begrifflichen Differenzierungen zwischen Care und sozialer Reproduktion sind für eine Analyse sozialer Kämpfe notwendig oder hinderlich?
  • -  Welche Forschungsmethoden und -haltungen kommen in der bewegungsorientierten Care- Forschung zum Einsatz (z.B. partizipative und aktivistische Forschung)? Was sind ihre Potenziale und Grenzen?

Der Workshop findet am 23./24.5.2024 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena statt. Fahrt- und Übernachtungskosten werden übernommen. Das Arbeitstreffen ist als Autor*innenworkshop für eine gemeinsame Publikation konzipiert. Aus diesem Grund sollen zum Workshop bereits erste Textfassungen der Beitrage vorliegen, die vorab unter den Teilnehmenden zirkulieren.

Der Einsendeschluss liegt in der Vergangenheit

Mike Laufenberg (mike.laufenberg@uni-jena.de) und Sarah Uhlmann (sarah.uhlmann@uni-kassel.de)