von Tristan Lannuzel

Diagramme als Werkzeug zur Visualisierung komplexer urbaner Phänomene

Künstlerische Qualifikation von Tristan Lannuzel architecte d.p.l.g. urbaniste

Exposé

Die Intention des Qualifikationsvorhabens ist die Visualisierung und die Kartierung von urbanen Phänomenen anhand von diagrammhaften und schematischen Darstellungen.
Urbane Phänomene zeichnen sich durch einen hohen Grad an Komplexität aus. Sie charakterisieren sich durch die Verflechtung und die Überlagerung verschiedener Aspekte und Fragestellungen. Die wechselnden Auswirkungen von vielseitigen Sachverhalten und oft schwer beschreibbaren Zusammenhänge verhindern jede Form von Vollständigkeit einer „schriftlichen“ Darlegung.
Diagrammhafte Darstellungen können die zeitliche Sukzession des Sprachlichen und des Geschriebenen durch die räumliche Simultaneität des Bildlichen ersetzen bzw. erweitern. Ich bin der Meinung, dass die qualifizierte (und hierarchisierte) Vermischung von Schrift und Zeichnung zur Beschreibung komplexer Systeme, gegenüber einer textlichen Darstellung einen Mehrwert schaffen kann.
Inhaltliches Ziel des Vorhabens ist die Entwicklung bzw. Verbesserung von Darstellungs- und Qualifizierungswerkzeugen, die einerseits vielschichtige urbane Phänomene (z.B. Veränderungsprozesse) in ihrer Komplexität Übersichtlich darstellen können und anderseits die Beziehungen, Zusammenhänge und Abhängigkeit in den Strukturen von diesen komplexen räumlichen und funktionalen Systemen handhabbar, interpretierbar und operierbar machen.

Persönlicher Zugang

Vor dem Hintergrund meiner Architekturausbildung sind Bilder für mich weit mehr als Illustrationen in einem Vermittlungsprozess. Bilder, Zeichnungen und Karten sind bei Denkprozessen gleichzeitig Projektionsfläche und Spiegelfläche. Als Nicht-Muttersprachler in Deutschland, insbesondere in den ersten Jahren, habe ich mir bestimmte „grafische Reflexe“ als Verständigungsstrategie angeeignet, die ich mir bis heute erhalten habe. Das Denken mit einem Stift sowie die Herstellung von diagrammhaften Synthesen während oder am Ende von Gespräche sind für mich natürlich geworden.
Die visuellen Unterstützungen und Übersetzungen von Gedankengängen, Abläufen, Prozessen und Phänomenen im Form von diagrammhaften Darstellungen haben mich die letzten Jahren zunehmend fasziniert. Diese Form von Visualisierung ist zugänglich, ermöglicht die schnelle Aneignung einer Fragestellung, bleibt erweiterbar und flexibel, erfordert bei der Interpretation trotzdem der Ansatz und die Mitwirkung des Betrachters und kann eine hohe Form von Komplexität (er)tragen.

Ausgangspunkt

Am häufigsten werden „Diagramme“ für die Visualisierung und die Vermittlung von quantitativen Daten verwendet. Die zunehmende und immer leichter zugängliche Datenmenge hat zur starken Verbreitung dieser Darstellungsform, weit über fachliche Grenzen hinaus geführt.
Der Dokumentarfilm „Journalism in the Age of Data“ von John S. Knight (2010) zeigt wie die Visualisierung von Daten in der Presse immer narrativer wird und wie sie sich von einem quantitativen zu einem qualitativen Ansatz wandelt. Die Visualisierung der Daten wird durch deren Interpretation (Recherche von Zusammenhängen und Korrelationen mit anderen Datensätzen, Einbindung von kontextuellen Informationen und ähnlichem) ermöglicht.
Im Bereich der thematischen Kartographie ist eine ähnliche Tendenz zu beobachten. Die Aussagekraft der Abbildungen wird durch neue Visualisierungsmethoden und Instrumente, oftmals über die Erhöhung der Informationsmenge, wie z.B. bei Kartogrammen, in den Bereich der Deutung verschoben.
Die technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben das visuelle in Vordergrund gesetzt. Es hat zu einem intuitiven und interaktiven Umgang mit dem visuellen Vermittlungsformen von Ergebnissen geführt. Man kann heute beobachten wie organisierte komplexe Abbildungen mit grafischem und textlichem Inhalt immer öfter im Ausarbeitungsprozess selbst verwendet werden. Sie können nicht nur gut vermitteln; man kann anhand von „Diagrammen“ denken, entwickeln und planen (Mind-Maps, Cognitive-Karten im abstrakten Bereich oder Mental-Maps im räumlichen Bereich).

Produkt

Am Ende des Qualifikationsvorhabens möchte ich die Diagramme großformatig ausgedruckt präsentieren und die verschieden Zwischenschritte zur Schau stellen. Anschließend möchte ich die Arbeiten publizieren. Die Publikation müsste ihr Augenmerk auf die Entstehung der Diagramme setzen – insbesondere den Austausch mit den eingebundenen Persönlichkeiten.

Phänomene

Im Rahm dieser Arbeit möchte ich an die Visualisierung von verschiedenen urbanen Phänomenen arbeiten. Die vorläufige Auswahl lautet:

  • Der Peripherisierungsprozess ländlicher Räume Deutschlands
  • Die Metropolisierung und städtischen Konzentrationen
  • Die urbane Ghettoisierung (am Beispiel der französischen Banlieues)
  • Die Gentrifizierung (Berlin, Hamburg…)
  • Die Zwischenstadt u. (Post-)Suburbanisierung


 

Ablauf und Methodik

Ich schätze, der Arbeitsablauf wird für jedes Thema ähnlich sein. Nach einer ersten untersuchenden Phase, die zu einem thematischen Überblick dient und die Erstellung von Annahmen anhand von Teildiagrammen beinhaltet, soll ein Austausch mit Experten stattfinden. Ich möchte eine Reihe von Spezialisten, Forschern und Betroffenen in den Visualisierungsprozess einbinden. Es wird über Workshops und Interviews erfolgen. Zuletzt soll das Endprodukt visualisiert werden.
Die Konstruktion der Diagramme wird sich auf die folgenden methodischen Schritte stützen:

  • Isolierung und Beschreibung der verschieden Teile des komplexen Phänomens (Differenzierung zwischen Phänomen und Kontext, Detaillierungsgrad)
  • Qualifizierung der Verbindungen (Zusammenhänge, Abhängigkeiten Auswirkungen, Bestimmungen)
  • Zusammensetzung und Hierarchisierung des gesamten Systems (Angliederung, Anordnung, Zusammensetzung)

Referenzen

Die Illustrationen am Rand des Exposés sind ausgewählte Teile einer Sammlung von ausschließlich aus dem Internet bezogenen Diagrammen, die ich seit Jahren führe.
Referenzarbeiten für mein Qualifizierungsvorhaben sind die Karten des Pariser Künstlerpaares Léonore Bonaccini und Xavier Fourt unter der Name „Bureau d’Etudes“, die ich als sehr inspirierend empfinde. Deren Ziele ist es, aktuelle zeitgenössische soziale, wirtschaftliche und politische Systeme, Macht- und Kontrollverhältnisse, Netzwerke usw. sichtbar zu machen. Ein weiterer Bezugspunkt für meine zukünftigen Recherchen wird das Labor Density Design+ am Design Department des „Politecnico di Milano“, das im Bereich der visuellen Kommunikation tätig ist. Sie verfolgen einen multidisziplinären Ansatz und weisen eine Vielfalt von Referenzen und Ergebnissen in der Visualisierung komplexer Phänomene in verschiedenen thematischen Bereichen nach.