Herrschaft verorten

Politische Kartographie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit

Projektverantwortliche: Prof. Dr. Ingrid Baumgärtner, in Zusammenarbeit mit PD. Dr. Martina Stercken (Universität Zürich)
Laufzeit:
Drittmittel:

Macht im geographischen Raum und deren kartographische Darstellung – kurz gefasst: Herrschaft und Kartographie – sind seit der Antike eng miteinander verbunden: Kartographie wurde seit jeher für Herrschaftszwecke eingesetzt, und Herrschaft determinierte umgekehrt immer wieder das Kartieren. Die mit diesem Wechselspiel verknüpften komplexen Vorgänge zu beschreiben, die sich daraus ergebenden vielschichtigen Relationen zwischen Herrschaft und Kartographie zu erfassen und die diskursive Konstruktion von Herrschaft im Kartieren zu verdeutlichen, sollen Anliegen eines Projektes sein, welches die Absicht verfolgt, die Bedingungen, die Zeitgebundenheit und die Auswirkungen des Kartierens in Mittelalter und Früher Neuzeit zu analysieren.
Im Zentrum des Projektes steht deshalb die Frage nach der politischen Instrumentalisierung von Karten. Aufgegriffen wird damit ein aktuelles Aufgabenfeld der modernen Kartographiegeschichte, dessen Potential zwar vereinzelt anhand kolonialer und nationaler Kartenprojekte beleuchtet, aber bisher weder am frühneuzeitlichen noch am mittelalterlichen Material systematisch bearbeitet oder im interkulturellen Vergleich betrachtet wurde. An konkreten Beispielen wird zu erörtern sein, ob, wann und inwieweit Karten im Dienste herrschaftlicher Zielsetzungen produziert wurden, welche Funktionen sie bei der Repräsentation von Herrschaft einnahmen, wie sie herrschaftliche Ansprüche, politische Konzepte oder Veränderungen von Herrschaftsstrukturen abbilden und wie unterschiedlich die Beziehungen zwischen Herrschaft und Kartieren in den verschiedenen Kulturen gestaltet und wahrgenommen wurden. Es geht also um die Bedeutung von Karten bei der Zurschaustellung politischer Absichten und um die Rolle des Kartierens bei der Erfassung und Durchdringung von Raum.
Im Einzelnen zu untersuchen sind die vielfältigen Szenarien der Präsentation kartographischer Darstellungen, die etwa als Teil des Interieurs von Palästen und Rathäusern (etwa in Siena, Florenz, Venedig, Westminster) den Raumbezug herrschaftlicher Systeme herstellten, als kartierte Historiographie die Ambitionen von Königen, Landesherren und Städten widerspiegelten, als örtliche Skizzen in Gerichtsverfahren Anwendung fanden oder als Einzelblatt bzw. in Atlasform den Radius herrschaftlich erfassten Raums vor Augen führten. In den Blick genommen werden müssen damit Kartierungen, die teils separat, teils in Schrifttum, im Zusammenhang mit urkundlicher Dokumentation von Raum- und Besitzansprüchen, in geographischen Abhandungen, in politisch-intentionalen, historiographischen oder literarischen Texten überliefert sind. Zu fragen ist jeweils nach den Herrschaftskonzepten, die sich hinter den verschiedenen Kartentypen verbergen und nach den daraus resultierenden kartographisch konstituierten Vorstellungsbildern. Zu untersuchen ist aber auch die Rolle des jeweiligen Überlieferungskontexts für die Interpretation der kartographischen Zeugnisse.
Durch die anvisierte Auseinandersetzung mit ganz verschiedenartigen Kartographien wird es nicht nur möglich, Entstehungskontexte von Karten zu diskutieren, sondern auch die konzeptionelle Unterschiedlichkeit kartographischer Aufzeichnungen zu überdenken. Dazu soll das jeweils spezifische Zeichengefüge der Karten auf deren politischen Aussagen hin analysiert und den Arten und Weisen nachgegangen werden, über die Herrschaftsträger, Herrschaftsgebiete, räumliche Entitäten, herrschaftliche Absichten und politische Konzepte auf der Kartenfläche konzipiert werden. Insbesondere sind die Hinweise auf Herrschaft zu sondieren, die teils transpersonal über Zeichen oder Grenzziehungen, teils personal über heilsgeschichtliche, mythische oder zeitgenössische Herrschaftsträger im Kartenbild positioniert werden.
Ziel des Projektes ist es mithin, die zeitgenössischen Vorstellungen, räumlichen Voraussetzungen und kartographischen Möglichkeiten der Verortung von Herrschaft zwischen Mittelalter und Frühen Neuzeit zu erfassen, die Funktionen des Kartierens von Herrschaft zu erläutern und die Darstellungspraktiken in politische Wissens- und Überlieferungskontexte verschiedener Kulturen einzubinden. Entscheidendes Gewicht erhalten deshalb vor allem zwei Komponenten, nämlich einerseits Herrschaft als historisch-geographische Größe und andererseits der Diskurs um die kulturwissenschaftlich determinierte Funktion von Karten.
Um angesichts der möglichen Themenvielfalt ein relativ geschlossenes Profil zu gewährleisten, richtet sich das Untersuchungsinteresse überwiegend auf kartographische Welt-, Länder-, Regionaldarstellungen der okzidentalen Kultur und deren Wechselwirkungen mit schriftlicher Überlieferung. Einbezogen werden sollen aber auch der interkulturelle Wissensaustausch, der sich zwischen Ost und West vollzog, sowie der Wandel, den Entdeckungen und europäische Expansion mit sich brachten. Als Untersuchungszeitraum sei vor allem die Wende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit anvisiert, also die Zeitspanne vom 14. bis zum ausgehenden 16. Jahrhundert.
Die beschriebenen Prozesse und Phänomene lassen sich unter folgenden vier Themenkomplexen akzentuieren: erstens Bedingungen und Kontexte herrschaftlichen Kartierens, zweitens Strategien der Verortung von Herrschaft auf Karten, drittens Kartieren regionaler und lokaler Herrschaftsverhältnisse und viertens Kartographien im Zeichen von Wissensaustausch und räumlicher Expansion.