Profil Murhardsche

Die Brüder Murhard

Bild: ORKA

Friedrich (1778-1853) und Karl Murhard (1781-1863), Stifter und Namensgeber der Murhardschen entstammten einer wohlhabenden und alt eingesessenen Kasseler Beamtenfamilie. Die Eltern: Regierungsprocurator Henrich Murhard (1739-1809) und seine Ehefrau Maria Magdalena Murhard (1747-1807) kommen beide aus Kassel.  Historische Quellen beschreiben schon die Vorfahren der Murhardbrüder als bildungshungrig und weltoffen. Etliche unter ihnen haben in Marburg studiert, arbeiteten in höheren Diensten am Kasseler Hof, beim Militär oder waren geistliche Würdenträger. Von den insgesamt sechs Kindern der Familie Murhard sind Friedrich und Karl die einzigen, die ein hohes Alter erreichten.

Die Brüder besuchen das Lyceum Fridericianum, damals die zentrale Kasseler Bildungsstätte zur Vorbereitung auf ein Universitätsstudium.
Daran anschließend folgt die Studienzeit in Göttingen, Friedrich studiert Mathematik und Physik, verlagert seine Interessen aber während dieser Zeit zunehmend auf rechtswissenschaftliche und politisch-historische Fragestellungen. Karl studiert Rechtswissenschaften, das Studium schließt er an der Philipps-Universität in Marburg ab.

Beide Murhards stehen in Opposition zu den Verhältnissen in Kurhessen und sympathisieren mit Napoleon und den Grundsätzen der Französischen Revolution. Nach einer Frankreichreise kritisiert Friedrich die veraltete kurhessische Gerichtsverfassung, wofür man ihn kurzzeitig verhaftet. Als das Kurfürstentum 1806 aufgelöst und mit anderen Territorien zum Königreich Westphalen zusammengelegt wird, engagiert er sich in seiner Position als Bibliothekar der Landesbibliothek, Präfekt des Fulda-Departements und Redakteur des "Moniteur Westphalen" für seine Überzeugungen. Auch sein Bruder tritt für die Überwindung des Absolutismus in Kurhessen ein.

Nach dem Zusammenbruch des Königreiches wird Friedrich aller Ämter enthoben und unter polizeiliche Aufsicht gestellt. Er wechselt nach Frankfurt, wo er als Redakteur und Korrespondent arbeitet. Seine kritische Berichterstattung und politische Haltung bringen ihm zeitweise Haft und ein Publikationsverbot ein, wovon ihn erst die Julirevolution 1830 befreit. Seine Hauptwerke verfasst er über den Rechts- und Verfassungsstaat, in denen er sich mit Fragen der Volkssouveränität, des Widerstandsrechtes und der Auslegung der Hessischen Verfassung befasst. Karl arbeitet bis 1816 als Archivar in der Oberrentkammer. Nach der Verhaftung und dem für ihn berufschädigenden Verhalten seines Bruders in Frankfurt scheidet er 1816 aus dem Staatsdienst aus. Er verfasst, übersetzt und rezensiert nationalökonomische, finanz- und steuertheoretische Schriften, in denen er dem Liberalismus verpflichtet bleibt.

Der Vernunft- und Bildungsglaube der späten Aufklärung blieb für ihr gesamtes Leben ihre Weltanschauung. Die Verbreitung und Vermittlung dieser geistigen Werte wird durch ihre Stiftung einer wissenschaftlichen Stadtbibliothek bis heute fortgesetzt.

Gekürzt aus: Wolfgang Matthäus (Hg.), Vom Hohenzollernviertel zum Vorderen Westen, Straßennamen, Geschichte und “Geschichtspolitik”, Kassel 2005

Testament und Stiftung

Unter den wissenschaftlichen Stadtbibliotheken in Deutschland ist die Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel die einzige, deren Gründung auf einer Stiftung beruht. Das Stiftungswesen erlebte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland, und offenbar auch in Kassel, eine Blütezeit. 
Ausgangspunkt der Entstehung der Murhardschen Bibliothek ist das Testament der Brüder Friedrich und Karl Murhard aus dem Jahr 1845. Darin setzten die beiden ihre Vater- und Geburtsstadt Cassel als Erbin ihres gemeinsamen Nachlasses ein.

Das vererbte Kapital reicht für die Bereitstellung von geeigneten Bibliotheksräumen noch nicht aus. Daher wurde testamentarisch verfügt, in den ersten Jahren des Bestehens der Stiftung zunächst einen Kapitalstock aufzubauen. Das Testament enthält ausführliche Vorgaben zur Vermehrung und Verwendung der Mittel. Der formulierte Sammelauftrag zielt auf eine Universalbibliothek mit staatswissenschaftlichem Schwerpunkt. Ausdrücklich ausgeschlossen sind dabei nur die Fachgebiete Theologie, Jurisprudenz und Medizin. Zur Überwachung der Umsetzung des testamentarischen Willens wurden Testamentswächter benannt, die es bis heute gibt.

Ein Haus für das Murhardsche Erbe

Nach dem Tod Karl Murhards übernahm der damalige Leiter der Landesbibliothek die bibliothekarische Verantwortung für den hinterlassenen Buchbesitz der Murhards, ca. 1.600 Bände. Bis zur Eröffnung einer vorläufigen Dependance der Murhardschen Bibliothek an der Wilhelmshöher Allee 104 war der Bestand durch Neuerwerbungen gemäß Testamentsvereinbarung auf beträchtliche 7.250 Bände angewachsen.

In einer Ausschreibung der Stadt Cassel setzte sich der Bauentwurf des Berliner Architekten Emil Hagberg durch, er gewann im Februar 1901 den ersten Preis. In der Begründung heißt es: Nach jeder Richtung hin kann das Projekt als eine reife, praktische und schöne Lösung der Aufgabe bezeichnet werden.
Die Eröffnung fand 1905 statt. Der Bibliotheksbestand umfasste zu diesem Zeitpunkt ca. 126.000 Bände, von denen zwei Drittel im Verlauf weniger Jahrzehnte Geschenke von Kasseler Bürgerinnen und Bürgern waren.  Ein Vortragsraum im 1. Obergeschoss der Murhardschen Bibliothek zog weiteres Publikum ins Haus und trug zum Bekanntheitsgrad der Bibliothek bei. Bereits damals war die Murhardsche Bibliothek für viele Menschen ein bevorzugter Ort zum Lesen, Nachdenken aber auch zur Teilnahme an kulturellen Ereignissen aus der Welt der Literatur, Theater und Musik.

Am Abend des 22. Oktober 1943 wurde im Bombenhagel auch das Gebäude der Murhardschen schwer beschädigt. Sechzig Prozent des Bibliotheksbestandes ging verloren. Teile des wertvollen historischen Bestandes waren ausgelagert und konnten durch diesen Umstand zum großen Teil erhalten werden. Noch im selben Jahr wurde mit dem Wiederaufbau des Gebäudes und der Wiederbeschaffung der Literatur begonnen. Die Wiederherstellung des Gebäudes dauerte bis in die frühen neunzehnhundertsechziger Jahre an.

1957 wurde die Murhardsche Bibliothek mit der Landesbibliothek, deren Stammsitz Fridericianum ebenfalls schwere Kriegsschäden erlitten hatte, vereint und im Gebäude am Brüder-Grimm-Platz unter eine gemeinsame Verwaltung gestellt. 1976 wurden die hier aufbewahrten Literaturbestände der im selben Jahr gegründeten Kasseler Gesamthochschulbibliothek zugeordnet. Bis heute ist die Murhardsche Bibliothek ein bedeutender Teil und zweitgrößter Standort der UB Kassel. Und noch immer achten Testamentswächter auf die Wahrung des Stiftungszwecks. Zur Finanzierung erhält die Murhardsche jährliche Zuwendungen der Stadt Kassel.

Die Murhardsche 2030

Mit ihrem Profil als wissenschaftliche Stadtbibliothek mit einem Stiftungshintergrund ist die Murhardsche Bibliothek in Deutschland einzigartig. Als zweitgrößter Standort der UB Kassel bildet sie mit ihrem historischen Gebäude einen eindrucksvollen Rahmen für besondere kulturelle Anlässe der Universität. Mit der Sanierung des Standorts Brüder-Grimm-Platz einher geht auch die Weiterentwicklung und Schärfung des Profils der Murhardschen. In zeitgemäßer Interpretation des testamentarischen Willens ihrer Stifter wird sie sich künftig deutlicher als bisher ihrer Hauptzielgruppe, den Bürgerinnen und Bürgern verschreiben und sich im breitgefächerten Bildungs- und Kulturleben der Stadt Kassel positionieren. Als Ort sozialer und kultureller Interaktion, Vermittlungsort für lebenslanges Lernen wie auch als Raum der Inspiration für Region und Universität wird sie sich darüber hinaus sichtbarer als bisher mit ihren regionalen Kooperationspartnern vernetzen und etablieren.