Anna Weber

Kurzexposé zum Promotionsvorhaben von Anna Weber

Pharmaunternehmen übernehmen menschenrechtliche Verantwortung? Zugang zu Arzneimitteln als öffentliche und private Herausforderung

Das Menschenrecht auf den höchsten erreichbaren Gesundheitszustand umfasst den Zugang zu  Arzneimitteln als wichtigen Aspekt (CESCR, 2000; SDG 3.8). Da Arzneimittel überwiegend privatwirtschaftlich produziert und bereitgestellt werden, lassen sich aus der Perspektive einer kritischen Internationalen Politischen Ökonomie hierbei strukturelle Herausforderungen erkennen: Bedarfe werden tendenziell nur dann beantwortet, wenn diese sich mittels kaufkräftiger Nachfrage kommerziell attraktiv artikulieren können. Entsprechend fehlt es an privatwirtschaftlichen Investitionen, z.B. gegen vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten oder im Bereich der Antibiotikaresistenzen. Vorhandene Therapien sind nicht weltweit einsetzbar, z.B. fehlen Hitzebeständigkeit oder pädiatrische Anwendungen. Hohe Preise für neue, umfassend patent-geschützte Medikamente führen zu deren Unerschwinglichkeit, auch für die Gesundheitssysteme reicher Länder (UNSG, 2016; Babar et al., 2018).

Kritiker_innen verweisen auf die exklusive Marktstellung von großen Pharma- und Biotech-Konzernen in Zusammenhang mit intellektuellen Eigentumsrechten ('t Hoen, 2009; Natsis, 2018). Pharma-Konzerne reagieren auf die Kritik zunehmend mit eigenen Maßnahmen zur Förderung des Zugangs zu Arzneimitteln und anderer Gesundheitstechnologien sowie zur Stärkung von Gesundheitssystemen. Fast jedes große Pharmaunternehmen verfolgt inzwischen freiwillig eine oder mehrere entsprechende Initiativen und in jedem Land mit niedrigem oder mittlerem Einkommen gibt mindestens eine private oder öffentlich-private Initiative (Rockers et al., 2017). Ein Teil der Literatur thematisiert messbare Erfolge des privaten unternehmerischen Engagements, mit dem Verweis auf eine Integration der Initiativen in die nationalen und lokalen Gesundheitssysteme als notwendige Gelingensbedingung (Caines u. Lush, 2004; WHO, 2017). Kritische Stimmen verweisen auf den Kontext eines neoliberalen Managements von Individuen und Gesellschaften sowie einer Re-Strukturierung der Sphären des Privaten und Öffentlichen, wobei privatwirtschaftliche Gesundheitsinitiativen dazu beitrügen, das private Interessen stärker in der öffentlichen Sphäre eingebettet würden und die globale und nationale Gesundheitspolitiken beeinflussen (Ruckert und Labonté, 2014). Freiwillige private Zugangs-Initiativen nehmen ungehindert weiter zu, auch als Erfolg des brancheninternen Access-to-Medicines-Index, der seit 2008 zweijährlich 20 Pharma-Konzerne hinsichtlich entsprechender Aktivitäten erfasst und bewertet. Die Frage bleibt, warum sich die privaten Initiativen weiter verbreiten. Im Frühjahr 2019 erklärten 90 Investor_innen, die zusammen ein Vermögen von über 11 Billionen US-Dollar verwalten, den Index für ihre Anlageanalysen und ihr Engagement mit Unternehmen verwenden zu wollen (ATMI, 2019).

Wissenschaftler_innen und Praktiker_Innen im Feld Globale Gesundheit fordern die Stärkung einer Perspektive der Internationalen Politischen Ökonomie für das Feld. Verbreitete Ansätze in den Gesundheitswissenschaften fokussieren technische Aspekte von Gesundheitspolitik und vernachlässigen eine Analyse der politischen und ökonomischen Interessen und Kräfteverhältnisse, die beeinflussen, welche Technologien und Lösungen überhaupt prominent zur Debatte stehen (Bellagio-Workshop, 2015). Das Forschungsprojekt trägt durch eine unabhängige und qualitative Analyse der Kräftekonstellationen im gewählten Fallbeispiel des Access-to-Medicines-Index im Anschluss an die Theorien von Antonio Gramsci dazu bei, zu erklären und zu verstehen, welche Rolle die freiwilligen unternehmerische Zugangs-Initiativen bei der Universalisierung partikularer Interessen spielen. Im einzelnen werden folgende Forschungsfragen beantwortet: Wie und warum rücken Fragen des Zugangs zu Arzneimitteln verstärkt in den privatwirtschaftlichen Fokus; welche Phasen des Wandels lassen sich dabei ausmachen; welche Interessen schreiben sich in die unternehmerischen Zugangs-Initiativen wie ein und wie hilft das zu erklären, warum diese Initiativen bestimmte Formen annehmen; welche Interessen werden begünstigt (und welche nicht); wie artikulieren sich die unterschiedlichen Interessen, z.B. mittels passiver Duldung oder aktiver Zustimmung; wer sind die ausgewiesene Zielgruppen und welche Interessen werden nicht explizit genannt; trägt der Index dazu bei, das Pharmaunternehmen verlässlich Verantwortung für Teilaspekte des Menschenrechts auf Gesundheit übernehmen; und zuletzt: Was lässt sich daraus über die strukturellen Herausforderungen einer privatwirtschaftlich organisierten Bereitstellung und Versorgung mit menschenrechtlich relevanten Gütern lernen?

Literaturauswahl:
Access To Medicines Index, (ATMI). „Investor Statement. Access to Medicine Index“. Access To Medicine Foundation, accesstomedicinefoundation.org/about-us/investors [Zugriff: 11.06.19].


Babar, Zaheer-Ud-Din, Hrsg. Equitable Access to High-Cost Pharmaceuticals. Academic Press, 2018.


Bellagio-Workshop (Participants at the Bellagio Workshop on Political Economy of Global Health). „Report from Bellagio: Advancing Political Economy of Global Health to Understand and Influence the Drivers of Universal Health Coverage“. Health Systems & Reform, 1:1, 20-21, 2015.


Caines, Karen, und Louisiana Lush. „Impact of Public-Private Partnerships Addressing Access to Pharmaceuticals in Selected Low and Middle Income
Countries. A Synthesis Report from Studies in Botswana, Sri Lanka, Uganda and Zambia.“ Initiative on Public-Private Partnerships for Health, 2004.


Committee on Economic, Social and Cultural Rights. „CESCR General Comment No. 14: The Right to the Highest Attainable Standard of Health (Art. 12)“, 11. August 2000.


Hoen, Ellen F. M. ’t. The Global Politics of Pharmaceutical Monopoly Power: Drug Patents, Access, Innovation and the Application of the WTO Doha Declaration on TRIPS and Public Helath. Diemen: AMB, 2009.


Natsis, Yannis. „The Top 5 Issues in Medicine Policy for 2018“. Brussel: European Public Health Alliance (epha), Januar 2018.


Rockers, Peter C., et al. „Industry-Led Access-To-Medicines Initiatives In Low- And Middle-Income Countries: Strategies And Evidence“. Health Affairs 36, Nr. 4 (1. April 2017): 706–13.


Ruckert, Arne, und Ronald Labonté. „Public–private partnerships (ppps) in global health: the good, the bad and the ugly“. Third World Quarterly 35, Nr. 9 (21. Oktober 2014): 1598–1614.


Social Development Goal (SDG) 3. „Ensure healthy lives and promote wellbeing for all at all ages“; 3.8. „Achieve universal health coverage, including financial risk protection, access to quality essential health-care services and access to safe, effective, quality and affordable essential medicines and vaccines for all.“ ,  www.who.int/sdg/targets/en/ [Zugriff: 15.10.2019]


United Nation Secretary General (UNSG). „Final Report — High-Level Panel on Access to Medicines“, 2016.


WHO. „Essential Medicines And Health Products. RESPONDING TO INDUSTRY INITIATIVES TO INCREASE ACCESS TO MEDICINES AND OTHER HEALTH TECHNOLOGIES IN COUNTRIES“. WHO EMP Policy Brief Series. Oktober 2017.