DFG-Pro­jekt "Tie­re als Ge­fähr­ten. Tier-Mensch-Be­zie­hun­gen zwi­schen Le­ben­dig­keit und Nor­mie­rung"

Tiere gehören zur Gesellschaft. Sie werden als Eindringlinge in menschliche Wohnumgebungen bekämpft oder zum Bestaunen in Zoos ausgestellt. Sie werden gezüchtet, geschlachtet und gegessen - oder wie Familienmitglieder und intime Freunde behandelt. Diese gemeinhin als "Haustiere" deklarierten Gefährtentiere sind inzwischen in jedem zweiten deutschen Haushalt anzutreffen. Sie erfahren eine exklusive Behandlung, werden benamt und geliebt. Rund um ihre Versorgung haben sich ausdifferenzierte Konsum- und Dienstleistungsmärkte etabliert, auf denen in Deutschland jährlich Milliardenbeträge umgesetzt werden. Trotz dieser offenkundigen sozialen Relevanz von Gefährtentieren, bleibt die Soziologie bislang auf Distanz und greift das Thema nur punktuell auf. Sie konzentriert sich auf bestimmte Tierarten und setzt den Status der Tiere als Gefährten zumeinst schon voraus. Offen bleibt indes, was die besondere Qualität dieser Interspeziesbeziehungen ausmacht und warum welche Tiere überhaupt einen Gefährtenstatus erlangen.

Das Projekt schließt diese Forschungslücken mit einem qualiativen Erhebungsdesign, Halter_innen unterschiedlicher Tierarten werden über verschiedene Beziehungsphasen hinweg begeleitet und zu Anschaffungsmotiven, Gestaltungsweisen und Deutungen befragt. Um Einflussfaktoren auf die Gefährtenbeziehungen ebenso wie deren Wandlungsdynamiken einzufangen, erhebt das Projekt auch tierbezogene Dienstleistungen und die Rolle von Artefakten. Hier ergeben sich, lebendige Wesen und Dinge umfassende, triadische Figurationen, die Auskunft darüber geben können, inwiefern Motive der Tierhaltung in einem Spannungsverhältnis zu konkreten Umgangsweisen stehen. Denn an die Tieranschaffung sind einerseits Bedürfnisse nach Ursprünglichkeit und Natürlichkeit geknüpft; andererseits lassen sich Tendenzen der Normierung von Haltungsweisen, eine Standardisierung von Beziehungsformen und eine zunehmende Verdinglichung der Tiere nicht ignorieren. Mit dieser Suchrichtung rückt das Projekt ins Zentrum der soziologischen Debatten zu hybriden Interspeziesbeziehungen vor und kann, in Kontrast zur Erforschung des Artifiziellen, empirische Erkenntnisse zu den Bestimmungsmomenten des Lebendigen beisteuern.

Projektleitung: Prof. Dr. Kerstin Jürgens

Projektbearbeitung und Auskunft:

Dienstleistungen für Haustiere – Der Wandel von Haustier-Mensch-Beziehungen am Beispiel einer wachsenden Dienstleistungslandschaft (Arbeitstitel)

Rund um die Versorgung, Betreuung und Erziehung von Haustieren sind mittlerweile eine Vielzahl an Dienstleistungen denkbar oder bereits erfolgreich am Markt. Tradierte Dienstleistungen wie die haustierärztliche Versorgung werden in ihrem Leistungsspektrum vielfältiger und nähern sich dem Humanbereich an. Bereits aus Wandel und Wachstum der Branche kann ein Forschungsbedarf zu haustierbezogenen Dienstleistungen abgeleitet werden. Die Relevanz reicht aber über die Erschließung des Feldes als einer bemerkenswerten Dienstleistungsbranche hinaus: Es ist anzunehmen, dass die Arbeit mit einem nichtmenschlichen Dritten eigene Charakteristika besitzt.

Für das Promotionsvorhaben kann an Konzeption, Fragen und Empirie des DFG-geförderten Projektes „Tiere als Gefährten“ (Projektnummer 443785427) angeknüpft werden. Dort wurden Haustier-Mensch-Beziehungen als Triade unter Einbezug der Dienstleister*innen konzipiert, um den Einfluss der Dienstleister*innen auf Haustier-Mensch-Beziehungen zu untersuchen. Entsprechend werden Interviews und Ethnographien nicht nur mit Halter*innen verschiedener Tierarten, sondern auch Dienstleister*innen geführt und erhoben. Die Dienstleistungen rund um Haustiere werden nun in der Promotion vertiefend analysiert und ausgedeutet. Forschungsleitend hierfür ist einerseits die Frage nach der Spezifik der Arbeit mit Tieren in den konkreten Dienstleistungs-Interaktionen. Andererseits ist zu fragen, wie sich Dienstleistenden charakterisieren lassen: Welche Motivationen leiten sie? Welche Bilder von Tieren und ihren Halter*innen rufen sie auf? Auf dem empirischen Material aufbauend, wird die Eigendynamik des Dienstleistungsprozesses mit Tieren dargestellt, die aus der spezifischen Konstellation von Dienstleistungen für einen nichtmenschlichen Dritten resultiert. Neue Impulse sind sowohl für das Verständnis der kontemporären Haustierhaltung als auch für die innerhumane Dienstleistungsforschung zu erwarten.