Innovationspotenzial an den Schnittstellen zu anderen Wissensgebieten: Interview mit Georg Krücken

INCHER-Nachwuchswissenschaftler interviewen Direktor des INCHER

Prof. Dr. Georg Krücken ist seit Oktober 2011 Geschäftsführender Direktor des INCHER-Kassel. Anlässlich seines Amtsantritts führten Rosalba Badillo Vega und Peter Kretek ein „Kennenlern-Interview“ mit Georg Krücken.

R. Badillo: Zunächst vielen Dank, dass Sie sich für dieses Gespräch Zeit genommen haben. Sie sind nun seit gut 3 Wochen, ganz genau 26 Tagen, Leiter des Zentrums. Wie sind Ihre ersten Eindrücke von der Universität Kassel?

G. Krücken: Insgesamt sehr positiv. Ich habe hier auf allen Ebenen bisher nur gute Erfahrungen gesammelt. Es gab zweieinhalb Tage ein sehr intensives ganztägiges Programm für die Neuberufenen, das ausgezeichnet organisiert war. Dass der Präsident und andere Mitglieder des Präsidiums dabei waren, gab dem ganzen ein besonderes Gewicht und ist bei den Teilnehmenden auf gute Resonanz gestoßen. Die Kontakte mit der Verwaltung waren positiv, alle haben sich entgegenkommend gezeigt; auch vom Fachbereich fühle ich mich gut aufgenommen, die Zusammenarbeit funktioniert bislang reibungslos. Meine erste Lehrveranstaltung in Kassel gestern war sehr gut besucht und die Mitarbeit der Studierenden war erfreulich. Allerdings ist die Raumsituation problematisch, daran gibt es nichts zu beschönigen.

P. Kretek: Sie sind Soziologe und Hochschulforscher mit starken Bielefelder Wurzeln, dort haben Sie promoviert und habilitiert. Aus heutiger Sicht, was hat Sie am meisten geprägt?

G. Krücken: Ich glaube, akademisch hat mich am meisten geprägt, dass ich in eine sehr leistungsstarke soziologische Fakultät integriert war, zu einer Zeit, als Wissenschaftler wie  Luhmann, Offe, Kaufmann und andere an der Fakultät waren. Die Einführungsvorlesung ist bei mir noch von Norbert Elias gehalten worden. Aber nicht nur in der Soziologie war Bielefeld in den 1980er Jahren, als ich studiert habe, sehr stark, sondern auch in Nachbardisziplinen. Und ich habe auch relativ viel in den Nachbardisziplinen studiert. Zur Prägung ist noch zu sagen, dass ich schon mit Beginn des Studiums gemerkt habe: das will ich und das macht mir Spaß. Auch wenn es Dinge gab, die mal nicht gut liefen, ich habe insgesamt das Akademische als ausgesprochen befriedigend erlebt und vom ersten Semester an gedacht, hier bin ich zu Hause.

P. Kretek: Sie waren längere Zeit in Italien und in Stanford, diese Auslandsaufenthalte haben Sie sicherlich auch geprägt?

G. Krücken: Ich habe ja auch während des Studiums schon ein Jahr im Ausland verbracht. Ich bin immer gerne gereist, habe Gastdozenturen in anderen Ländern gehabt, aber ich habe immer gerne auch so eine Art Homebase, von der ich aus operieren kann, um mir diese internationalen Kontakte und internationalen Erfahrungen zu erschließen.
Lernen ist für mich auch immer sehr stark mit Lernen aus Fehlern verbunden, also nicht nur eigene, die mache ich auch genug, aber ich habe immer auch versucht, aus den Fehler anderer zu lernen. Zum Beispiel, indem ich die Lehre beobachtet habe, die Professoren gemacht haben, daraus, es so nicht machen zu wollen, habe ich Ideen entwickelt.

P. Kretek: Was hat Sie zur Hochschulforschung geführt? War das von Anfang an Ihr Ziel, schon im Studium?

G. Krücken: Nein, überhaupt nicht. Ich bin eigentlich Quereinsteiger in der Hochschulforschung. Bis zur Promotion habe ich mich mit vielen Themen der Soziologie und auch in anderen Fächern beschäftigt, nur nicht mit Hochschulen. Das hatte auch durchaus gute Gründe, denn ich habe versucht, mich forscherisch von Themen eher fernzuhalten, die nah an mir dran waren wie z.B. das Thema „Hochschule“.
Indirekt hatte ich aber immer mit dem Thema zu tun, da ich stark in der Wissenschaftssoziologie und der interdisziplinären Wissenschaftsforschung engagiert war. Dabei ging es allerdings eher um Fragen des wissenschaftlichen Wissens. Viele andere Aspekte der Hochschulforschung, zum Beispiel den Komplex der Lehre, die Governance-Diskussion, die es ja damals faktisch auch noch gar nicht gab, habe ich erst viel später kennen gelernt.

R. Badillo: Und die Motivation zur Hochschulforschung war welche?

G. Krücken: Eigentlich gab es eine doppelte Motivation: Ich hatte sehr viel im Bereich Risiko und Gesellschaft gearbeitet. Das Thema Risikoforschung habe ich über viele Jahre sehr konzentriert bearbeitet, und nach der Promotion war ich auf der Suche nach einem neuen Thema, in das ich meine Kompetenzen in der Wissenschaftssoziologie und in der Organisationssoziologie einbringen konnte. Makrosoziologie finde ich auch immer wichtig, daraus kam der Impuls, mich stärker unter der gesellschaftlichen Wissensperspektive mit Hochschulen zu beschäftigen. Das zweite Motiv war, dass ich auf Anfrage von Studierenden 1997 an der Organisation einer Ringvorlesung im Rahmen eines Studentenprotests beteiligt war. Das Thema war Hochschule im 21. Jahrhundert. Damit war mein Interesse an diesem Feld geweckt, das breit und interessant war, und in der Soziologie außerhalb der Bildungssoziologie nicht sehr stark vertreten war.

P. Kretek: In einem Artikel über die offene Nachfolge von Ulrich Teichler titelte die Deutsche Universitätszeitung im Dezember 2008 „Wer passt schon in Teichler XXL?“ Haben Sie sich schon in Ulrich Teichlers Kleiderschrank umgesehen?

G. Krücken: Nein und ich sehe dafür auch keine Notwendigkeit, denn ich will ja meine eigenen Sachen machen. Ich habe sehr großen Respekt, vor dem was Ulrich Teichler aufgebaut hat, nicht nur hier am INCHER, sondern in der Hochschulforschung insgesamt. Aber ich fühle mich davon unabhängig. Ich sehe das eher wie bei der Berufung eines MPI-Direktors. Es geht um eine neue, forschungsstarke Person, die eigene Akzente setzen kann und will, um das Institut weiterzuentwickeln, nicht um Traditionspflege.

P. Kretek: Also spüren Sie vielleicht sehr abstrakt einen Erwartungsdruck, der mit diesen großen Fußstapfen in Verbindung gebracht werden könnte?

G. Krücken: Ja, abstrakt schon, aber konkret auf meine Person bezogen, nein. Also nein, ich mache das, was ich für vernünftig halte.

R. Badillo: Welche Innovationen wollen Sie hier in INCHER einführen?

G. Krücken: Inhaltlich lässt sich das sicher einfacher beantworten als strukturell. Innovationen entstehen typischerweise eher an den Interfaces verschiedener Wissensgebiete. Das ist ein relativ robuster Befund der Innovationsforschung und ich habe natürlich den Ehrgeiz, die Interfaces, also die Querbezüge zwischen der Hochschulforschung und anderen interdisziplinären Forschungsbereichen, der Innovationsforschung oder der Organisationsforschung zum Beispiel, und auch wieder stärker in Richtung von Theorien, die von den Disziplinen geliefert werden, zu beleben. Da würde ich im Moment das große Innovationspotenzial sehen.
Es ist noch ein bisschen früh, um zu strukturellen Innovationen Konkretes zu sagen, aber es ist mir wichtig, dass wir ein Institut sind, das sich für Hochschulforschung insgesamt interessiert, das heißt, es müssen die wichtigsten Bereiche der Hochschulforschung abgebildet werden, und es ist mir natürlich auch wichtig, dass die Querbezüge zwischen diesen Bereichen im Institut präsent und auch stark sind. Es ist mir ein wichtiges Anliegen, dass beispielsweise der Bereich Absolventenforschung sich auch enger mit anderen Bereichen zum Beispiel mit Fragen von Governance beschäftigt, oder dass diejenigen, die sich mit Internationalisierung oder Globalisierung beschäftigen, sich auch für Fragen des Wissenstransfers interessieren. Es ist mir ein wichtiges Anliegen, dass diese einzelnen Bereiche, die hier gut entwickelt sind, stärker miteinander interagieren, dass es einen noch stärkeren Wissenstransfer zwischen diesen Bereichen gibt.

P. Kretek: Welche Rolle des wissenschaftlichen Nachwuchses sehen Sie jetzt und zukünftig im INCHER?

G. Krücken: Ohne wissenschaftlichen Nachwuchs gäbe es das INCHER nicht. Das ist letztlich die Ausgangsprämisse auch meines Handelns als Institutsleiter. Ich würde mich gern mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs zusammen stärker um individuelle Karriereziele kümmern. Es ist mir ein besonderes Anliegen, dass die Leute individuelle Karriereziele haben und dass sie auch in der Lage sind, sich strategisch selbst zu positionieren. Das bedeutet sehr viel Eigeninitiative und sehr viel Eigenleistung, aber mein Anliegen ist, dass jeder vor Augen hat, was mache ich, wo will ich hin, was ist das Thema, das mich interessiert, wo sehe ich mich vielleicht in fünf Jahren, will ich wissenschaftlich weiterarbeiten, oder will ich eher im wissenschaftsadministrativen Bereich arbeiten? Ich glaube, das sind Fragen, mit denen man sich heutzutage relativ früh auseinandersetzen muss. Ich möchte die Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler dabei unterstützen, sich im System zurechtzufinden.

P. Kretek: Wenn Sie das INCHER vor Augen haben, das Sie jetzt leiten – wo steht es in der deutschen Hochschulforschungslandschaft und wo wollen Sie es hinführen?

G. Krücken: National ist das INCHER sicherlich das renommierteste akademische Hochschulforschungsinstitut. Im Unterschied zu vielen anderen Instituten, die wir national und auch international haben, ist das INCHER eben keine Serviceeinrichtung, beispielsweise eines Ministeriums. Das ist auch eine Stärke des INCHER, aus dieser Distanz heraus politikberatend tätig zu werden. Diese Stärke basiert sozusagen auf einem akademischen Standing, und auf der Grundlage kann man dann zum Beispiel Serviceleistungen erbringen, Politikberatung machen und so weiter. Und das würde ich gerne verstärken. Wie gesagt, mir wäre es vor allem wichtig, die Hochschulforschung, gerade unter Innovationsaspekten noch stärker mit anderen Forschungsfeldern oder anderen Disziplinen zusammenzubringen; daraus könnte Neues oder Interessantes entstehen.

P. Kretek: Welchen Stellenwert haben Kooperationen, die ja von Forschungsförderern gefordert werden?

G. Krücken: Ich sehe eine Menge Chancen in Kooperationen. Ich würde dafür plädieren, Kooperationen zum Beispiel auch mit anderen Forschungsinstituten zu suchen, die nicht dem engeren Bereich der Hochschulforschung zuzuordnen sind. Ich denke da z.B. an Institute zur Gesellschaftsforschung, der Bildungsforschung oder der Innovationsforschung. Das fände ich schon spannend, wenn wir stärker in diese Richtung gehen und nicht primär die Selbstorganisation der Hochschulforschung betreiben würden.


R. Badillo: Und internationale Kooperation, z.b. mit Partnern in Lateinamerika, Afrika oder Asien?

G. Krücken: Internationale Orientierung ist, so wie ich das INCHER sehe, selbstverständlich. Und dass Internationalität auch für mich selbstverständlich ist, zeigt mein Lebenslauf.


R. Badillo: Eine allgemeine Frage. Sie haben sehr viele neue Tätigkeiten, worauf freuen Sie sich am meisten?

G. Krücken: Zunächst einmal gibt es sehr viele Dinge, auf die ich mich freue. Und ich muss sagen, die ersten Wochen an der Uni Kassel, am INCHER, haben mir ausgesprochen gut gefallen, die Interaktion mit den Personen und die Lehrerfahrung waren positiv. Ich freue mich auf den Start des Doktorandenkolloquiums in der nächsten Woche. Besonderen Reiz haben die neuen Tätigkeiten in zweierlei Hinsicht. Einerseits habe ich eine größere, auch strategische Vision inhaltlicher Art. Wie ich schon gesagt habe, liegt die Vision darin, die Bezüge zu den angrenzenden Bereichen stärker zu entwickeln und zu schauen, dass daraus Innovationen entstehen. Das ist eine inhaltliche Frage. Und natürlich muss ich als Leiter die am INCHER präsente Hochschulforschung insgesamt vertreten. Es macht überhaupt keinen Sinn, zu sagen, der eine Bereich liegt mir näher als der andere. Und das zweite ist – schließlich habe ich in Speyer einen Lehrstuhl für Wissenschaftsmanagement gehabt –, dass ich mich immer ein bisschen damit beschäftigt habe, wie wissenschaftliche Organisationen gut organisiert sind. Also: was sind die strukturellen Voraussetzungen, aber auch, welche Persönlichkeitsmerkmale sind sinnvoll. Das hat mich immer sehr fasziniert, und die Gelegenheit zu haben, die eigenen Ideen umzusetzen, das reizt mich schon sehr.

R. Badillo: Welche Fertigkeiten oder Fähigkeiten verlangt die Tätigkeit als Direktor eines wissenschaftlichen Zentrums?

G. Krücken: Ganz ohne Arroganz, es verlangt zunächst hohe kognitive Fähigkeiten, um das Feld insgesamt überblicken zu können. Sehr wichtig ist, dass man in der Lage ist, das Feld insgesamt zu repräsentieren und zu verstehen und ein Gespür dafür zu haben, was neue inhaltliche Themen sind. Das zweite ist, in der zu Lage sein, mit Menschen umzugehen. Es hat schon viel mit Kommunikation und Vernetzung zu tun, so ein Institut zu leiten. Ich brauche immer wieder meine Rückzugsmöglichkeiten und ich muss, um den ersten Punkt zu erfüllen, ja auch in Ruhe nachdenken können. Aber wenn ich nur der einsam am Schreibtisch sitzende Forscher wäre, dann wäre ich hier verkehrt.
Gute Kommunikation ist mir sehr wichtig, und ich werde in den nächsten Monaten mit vielen Leuten reden und dafür auch viel Zeit investieren, denn das ist jetzt meine Aufgabe, und wenn in den ersten Monaten dann ein bisschen weniger publiziert wird, dann ist das eben so.

R. Badillo: Wollen Sie auch neue Kommunikationsstrukturen schaffen?

G. Krücken: Ich würde zum Beispiel gerne im nächsten Frühjahr zwei Tage im Rahmen einer Klausurtagung mit dem ganzen Institut wegfahren – gerne auch während der Woche, nicht nur weil das familienfreundlicher ist, sondern auch, weil es um die Organisations- und Personalentwicklung des INCHER, seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geht. Das würde ich auf jeden Fall wenigstens einmal im Jahr machen wollen.

P. Kretek: Sie forschen gerne an Interfaces, die Integration verschiedener Perspektiven ist Ihnen wichtig. Wenn Sie die Hochschulforschung als Betrachter sehen, inwieweit steckt die Hochschulforschung zwischen einer disziplinären Verankerung auf der anderen Seite und der Notwendigkeit von Interdisziplinarität oder gar Transdisziplinarität?

G. Krücken: Ich finde es wichtig, dass diejenigen, die in der Hochschulforschung arbeiten, das andere Bein möglichst noch in einer wissenschaftlichen Disziplin haben. Das würde ich gerade dem wissenschaftlichen Nachwuchs raten. Also zum Beispiel bei Ihnen, Frau Badillo, ist es mir schon wichtig, wenn ich Ihre Arbeit betreue, die nun sehr starke psychologische Anteile hat, dass wir als Zweitgutachter einen Psychologen oder eine Psychologin finden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das auch für Sie besser wäre.

P. Kretek: In der Hochschulforschung gibt es ein breites Spektrum an Aktivitäten: anwendungsnähere Tätigkeiten, auch Dienstleistungen und Politikberatung und auf der anderen Seite disziplinnahe Grundlagenforschung. Was liegt Ihnen näher und was würden Sie in der Zukunft am INCHER vielleicht stärker betonen wollen?

G. Krücken: Disziplinnahe Grundlagenforschung ist ein Extrempol, den ich fürs INCHER nicht unbedingt sehe, und Service-Einrichtung für die Politik zu sein, das ist der andere Extrempol, den ich auch nicht ganz sehe. Ich würde mich genau dazwischen positionieren, mit einer starken wissenschaftlichen Orientierung, die nicht unbedingt disziplinär sein muss, sondern auch interdisziplinär sein kann. Von da aus sind Aktivitäten in Richtung beider Extrembereiche denkbar. Aber der Kern sollte schon wissenschaftliche Forschung über Hochschulen sein.

R. Badillo: Haben Sie aktuelle Forschungsthemen in der Schublade?

G. Krücken: Zunächst einmal sollen natürlich die Sachen, die am INCHER aufgebaut worden sind, auch weiter gemacht werden. Zudem gibt einen großen Fundus an Themen, die zukünftig weiterentwickelt werden können. Wir werden Forschungsfragen in einer Struktur von vier Arbeitsbereichen bearbeiten: Studierende und Absolventen, der Arbeitsbereich ist bereits sehr gut etabliert, der Bereich Governance und Organisation, der ist vor allem auf der Governanceseite gut etabliert, die Organisationsseite ist noch ausbaufähig. Bereiche, die verstärkt werden müssen, sind Innovation und Transfer, dazu gibt es schon wichtige Vorarbeiten, und schließlich der Bereich wissenschaftlicher Wandel, da sehe ich eine Menge Forschungsbedarf. Darüber hinaus gibt es Querschnittsthemen wie Internationalisierung, soziale Ungleichheit oder Gender-Fragen, die im Prinzip in allen vier Bereichen von Bedeutung sind.
Wie bereits gesagt, mir wäre eine stärkere Anbindung an andere interdisziplinäre Forschungsfelder und auch an etablierte Disziplinen lieb. Ich fände es natürlich sehr wünschenswert, wenn Personen aus dem INCHER – abgesehen von der Soziologie – auch beispielsweise in wirtschaftswissenschaftlichen, psychologischen, politikwissenschaftlichen oder historischen Fachdiskursen eine Rolle spielen. Wenn Sie (an R. Badillo gewandt) zum Beispiel mit Ihrer Dissertation auch in psychologischen Journals publizieren können oder an psychologischen Tagungen teilnehmen, fände ich das sehr erstrebenswert.

R. Badillo: Welche Rolle sollte die Soziologie in der Hochschulforschung spielen?

G. Krücken: Eigentlich habe ich ja keine disziplinären Vorurteile, man sollte etwas Ordentliches studiert haben, egal, ob Physik oder Literaturwissenschaften, wenn man studiert und sich Wissen angeeignet hat. Aber ich glaube, dass die Soziologie gegenüber anderen Disziplinen einen Vorteil hat, was die Institutsleitung betrifft, und dieser ist, zumindest nach meinem Verständnis, der soziologische Bezug auf die Gesellschaft. Das heißt, wenn ich die Hochschulforschung oder ein Hochschulforschungsinstitut kognitiv einbetten will, dann ist mein Referenzrahmen in erster Linie die Gesellschaft. Ich muss fragen, wo stehen Hochschulen in der Gesellschaft, welche Bezüge gibt es zu anderen gesellschaftlichen Systemen, welche allgemeinen Tendenzen in der Gesellschaft haben wir, beispielsweise Individualisierung, Quantifizierung, Globalisierung. Und es ist ein Vorteil gegenüber anderen wissenschaftlich-disziplinären Perspektiven auf Hochschulen, wenn man aus einer soziologischen Perspektive kommt, dass man die Hochschulthematik in die weitere Thematik der modernen Gesellschaft einbettet. Als Soziologe versuche ich das Ganze der Gesellschaft in den unterschiedlichen Facetten und Aspekten zu sehen, und versuche zu sehen, wie die Hochschule sich als Teil der Gesellschaft zu diesen anderen Bereichen verhält.

R. Badillo: Sie sind Professor im Fachbereich Soziologie und Sie sind gleichzeitig Direktor des INCHER. Welche Ziele haben Sie als Professor und als Direktor?

G. Krücken: Als Professor am Fachbereich möchte ich vor allem gute Lehre machen. Wobei ich hoffe, dass sich hier auch fruchtbare Forschungskooperationen ergeben werden. Ich finde es sehr schön, dass ich vom Bachelor über den Master zur Doktorandenausbildung in allen Bereichen der Lehre tätig bin. Es macht Freude, Studierende sozusagen im Zeitverlauf zu beobachten. Am INCHER sehe ich dagegen primär meine Forschungsheimat. Im INCHER ist auch der überaus wichtige Bereich des wissenschaftlichen Nachwuchses angesiedelt. Zudem habe ich als Institutsdirektor auch eine strategische Position. Inhaltliche Fragen, die sich auf die Forschung beziehen, Nachwuchsförderung und die Fragen von strategischer Entwicklung, strategischer Positionierung, die finden sich primär am INCHER.

R. Badillo: Und was wünschen Sie sich von den Mitarbeitern, Doktoranden und Kollegen hier am INCHER?

G. Krücken: Ich wünsche mir Personen, die fachlich stark sind, die aber gleichzeitig kommunizieren und vernetzen können, und ich wünsche mir natürlich auch sehr viel Eigeninitiative im Hinblick auf individuelle strategische Ziele.

R. Badillo: Worauf freuen Sie sich nicht?

G. Krücken: Ich glaube, ich muss an einzelnen Stellen nein sagen, und „nein“ zu sagen ist psychologisch schwieriger, als „ja“ zu sagen. Darauf freue ich mich nicht. Das ist aber notwendig, denn ich muss strategische Ziele verfolgen und Prioritäten setzen und das bedeutet zuweilen auch zu sagen „Tut mir Leid, fragen Sie mich nächstes Jahr.“ Oder: „Fragen Sie jemand anders, aber diese Art der Kooperation können wir nicht eingehen, diesen Beratungsauftrag kann ich nicht leisten“.
 
P. Kretek: Sie haben bereits gesagt, dass Sie sich hier von Beginn an sehr wohl gefühlt haben. Würden Sie also zustimmen, wenn man sagt „Georg Krücken und das INCHER – das passt!“?

G. Krücken: Wissen Sie, meine Tochter hat mir zum Beginn meiner Tätigkeit hier eine Kiste mit Aufmerksamkeiten gebastelt, aus der ich mich immer dann bedienen kann, wenn ich einen schlechten Tag in Kassel hatte. Bislang war das noch nicht der Fall, und die Kiste steht unverändert da.

P. Kretek: Das wird hoffentlich so bleiben!

R. Badillo: Wir freuen uns schon auf die Zusammenarbeit und danke, dass Sie so viel Zeit und Geduld mit unseren vielen Fragen hatten und wir Sie besser kennenlernen konnten.