In­sti­tut für Germanistik

Prof. Dr. Stefan Greif († 4.8.2025)

Das Institut für Germanistik trauert um Prof. Dr. Stefan Greif. 

Wir sind fassungslos und voller Schmerz über den viel zu frühen Tod unseres Kollegen.

Als Forscher und Lehrer war er im 18. Jahrhundert zu Hause. Er zeichnete sich als Experte für Goethe, Schiller und Herder aus, schrieb Standardwerke zur Aufklärung und zur Klassik. Viele Jahre war er Vorsitzender der Georg-Forster-Gesellschaft und wirkte im Vorstand der Kasseler Goethe-Gesellschaft mit. Ein weiterer großer wissenschaftlicher Schwerpunkt lag in der Gegenwart: Popkultur und Poptheorie. Auch zu Antisemitismus und Rechtsrock verfasste er wichtige Beiträge.

Stefan Greif engagierte sich ausgesprochen gerne als Vertrauensdozent des Ev. Studienwerks Villigst. Für neue Themen war er immer offen und ermutigte auch seine Doktorand:innen und Studierenden dazu, Neuland zu betreten. Als wir vor wenigen Monaten unseren Lehrschwerpunkt „Autorinnen im Fokus“ für das Wintersemester 2025/26 planten, war er „aus Überzeugung dabei“ und hatte nach wenigen Minuten seine Seminare entworfen: zu Sophie von La Roche und Herta Müller, zu Pop-Autorinnen und Patti Smith. Diese werden nun nicht mehr stattfinden können.

Wir werden ihn sehr vermissen: Seine intellektuelle Brillanz, seine liebenswürdige Bescheidenheit, seinen wunderbaren Humor, seine wertschätzende Güte. Und seine radikale Unkonventionalität: „Im Herzen bleibe ich immer ein Punk“, hat er einmal gesagt. 

Er bleibt für immer in unseren Herzen.

Zu seinen Ehren drucken wir hier einen Text ab, der 2014 in dem Band „Literatur verstehen – wozu eigentlich?“ erschienen ist. Man erfährt in diesen wenigen Worten nicht nur sehr viel von Stefan Greif – sondern eigentlich alles, was man über Literatur und Literaturwissenschaft wissen muss.

Jedenfalls wenn man so eigensinnig ist, wie er es war.


Kassel, im August 2025

Um die Frage nach dem Verstehen von Literatur beantworten zu können, müsste zunächst geklärt werden, was ‚Verstehen‘ eigentlich bedeutet und ob (und welcher!) Literatur ein ästhetisches, politisches oder ‚transzendentes‘ Potential innewohnt, das ähnlich wie ein historischer oder naturwissenschaftlicher Sachverhalt verstanden, mithin intellektuell nachvollzogen und als zutreffend anerkannt werden kann. Ein so verstandenes Verstehen hat zu tun mit dem Befolgen intellektueller Regeln und gesellschaftlicher Affirmation. Es hält der empirischen Überprüfung stand, dafür fehlt es ihm aber an ‚Eigensinn‘, wie ihn Dichtung provozieren kann.

Nun verfügt auch Literatur über analysierbare Aspekte, die sich im Falle von Motiven, ironischen Anspielungen oder etwa stilistischen Besonderheiten präzise benennen lassen. Auf dieser teils inhaltlichen, teils formalen Ebene lässt sich Literatur insofern verstehen. Doch Dichtung kann etwa in Form nicht konsensfähiger Einsprüche, ungewohnter Perspektivierungen des scheinbar Vertrauten oder überraschender Sinnverweigerungen weitere Ansprüche an Leser stellen, die sich nur jenseits reglementierter Verstehensprozesse erschließen lassen. In diesem Fall handelt es sich um individuelle Interpretationen, für welche zwar hermeneutische ‚Kunstgriffe‘ zur Verfügung stehen. Ferner lassen sich solche Deutungen auf verständliche Weise mitteilen. Und schließlich kann sich eine bestimmte Lesergruppe (Deutschlehrer, Professoren oder literarische Gesellschaften) auf eine bestimmte Sicht auf ein Werk verständigen, etwa weil man sie aktuell für besonders angemessen hält. In allen genannten Fällen wäre aber nicht Literatur, sondern deren ‚Übersetzung‘ ins Kommode oder weltanschaulich Taugliche verstanden worden.

Um solchen hegemonialen Leseakten zu entgehen, scheint es angemessener, die Interpretation von Literatur als immer nur teilweise, dafür aber kreative Aneignung eines Textes zu denken. Ohne damit wieder dem Irrationalen, Zeitlosen oder Auratischen in der Kunst das Wort reden zu wollen, lässt sich nunmehr die Frage, ob und wie Literatur verstanden werden kann, mit ‚Nein‘ beantworten. Lässt man die These gelten, sie wolle ohnehin nur ‚vielsagend‘ bleiben, wäre Dichtung überdies vom Zwang entbunden, verstanden werden zu müssen. Von dieser Freisprechung profitieren aber nicht nur literarische Werke, sondern auch alle Leser, die etwas in einem Roman oder Gedicht nur Angedeutetes aus einer realen, historisch beschreibbaren Perspektive heraus mit Sinn füllen. Einerseits nämlich erfahren sie sich als bedeutungsstiftende Subjekte, die aus einem endlich ‚verstandenen‘ Zweck heraus an Dichtung handeln, sie gleichsam vollenden. Andererseits können sie jetzt Literatur, die sich auf Affirmation und Konsensualismus beschränkt, mit blankem Unverständnis begegnen.

Literatur und Eigensinn von Stefan Greif (pdf-Download)


Ein breites wissenschaftliches Spektrum bietet sich Studierenden wie Forschenden am Institut für Germanistik. Es reicht vom Studium mittelalterlicher Texte bis zur Literatur- und Mediengeschichte der modernen Gesellschaft, von historischer Sprachwissenschaft und -theorie über Grammatik bis zur Sprachdidaktik für die Schule, von Intermedialitätsforschung bis zum Gebiet Deutsch als Fremdsprache.

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