Dissertationsprojekt (abgeschlossen)
„Deutschland als Problem Dänemarks“ – Das materielle Kulturerbe in der Grenzregion Sønderjylland/Schleswig seit 1864.
Ausgelöst durch die Verbreitung des Nationalstaatsgedankens entwickelte sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Grenzregion Sønderjylland/Schleswig zu dem zentralen Konfliktfeld zwischen den deutschen und dänischen Nationalbewegungen. Die konkurrierenden Machtansprüche in der Region führten so seit den Ereignissen der 1848er Revolution zu einem andauernden politischen und zwischenzeitlich auch militärischen Konflikt sowie zu einer symbolischen Aufladung des Grenzraumes, in deren Mittelpunkt wiederholt die Frage der Grenzziehung stand. Die sogenannte Schleswigfrage erhielt vor diesem Hintergrund besondere Relevanz in der Etablierung und Tradierung der jeweiligen nationalen Erinnerungen und Identitäten, vor allem für Dänemark entwickelten sich die umkämpfte Grenzregion und der machtpolitische Gegensatz zu den bestimmenden Elementen des nationalen Bewusstseins.
Im Kontext der problematischen deutsch-dänischen Geschichte wird in der Dissertation anhand der Aspekte Denkmäler im engeren und Denkmalpflege im weiteren Sinne, Museen und Ausstellungen sowie Bau- und Heimatpflege nach der Rolle des materiellen Kulturerbes in den grenzkulturellen Auseinandersetzungen gefragt. Angesichts der wechselvollen Historie Schleswigs sind vor allem Kontinuitäten und Wandel in den Diskussionen und Praktiken um das kulturelle Erbe von Interesse, darüber hinaus rücken die erinnerungspolitischen Akteure und die relevanten Erinnerungsrahmen in den Blickpunkt. Die Analyse folgt ausgehend vom Deutsch-Dänischen Krieg 1864 den zentralen Brüchen und Wendepunkten der deutsch-dänischen Geschichte bis in die Gegenwart und kontextualisiert so die mit dem materiellen Kulturerbe verknüpften Narrative mit den maßgeblichen historischen Ereignissen. Neben dem theoretischen Konzept des materiellen Kulturerbes sind in der Arbeit vor allem die neueren Ergebnisse der Raum- und Grenzforschung, die die Grenze als soziales Konstrukt sehen, von Belang. Ausgelöst durch die Zäsuren in den Jahren 1864, 1920, 1933, 1945, 1955 und 1990 kam es wiederholt zu Übersetzungsprozessen, in denen die Narrative den jeweiligen aktuellen politischen Bedürfnissen angepasst wurden. Im Zuge der großen politischen Umwälzungen wurden so auch immer wieder Fremd- und Selbstbilder neu verhandelt, zugleich behielten die Exklusionsbestrebungen, deren Wurzeln im 19. Jahrhundert liegen, auch über den Zweiten Weltkrieg und die Bonn-Kopenhagener Erklärungen 1955 hinaus ihre Gültigkeit. So zeigen sich im Zusammenhang mit dem materiellen Kulturerbe bis in die heutige Zeit Prozesse nationaler In- und Exklusion sowie regionalkultureller Eingeständigkeit, die die Region Sønder-jylland/Schleswig zu einem hybriden Übergangsraum zwischen deutschem und dänischem kulturellen Einflussgebiet werden ließen. Jedoch besteht aufgrund der weiterhin ausgeprägten Präsenz der Erinnerung für die Problematik der Geschichte kein Bewusstsein für ein regionales, grenzüberschreitendes Kulturerbe, welches durch die Einflüsse von Norden und Süden in den Grenzraum hinein entstanden ist. Vielmehr besitzen Fragen der Abgrenzung zum Teil auch heute noch eine große Relevanz.
Ausgehend vom Fallbeispiel der deutsch-dänischen Grenzregion können Rückschlüsse auf weitere historisch umstrittene Grenzregionen und die Vorstellung eines gemeinsamen europäischen Kulturerbes gezogen werden. Die Ergebnisse weisen auf eine wesentlich wichtigere Rolle der vermeintlichen peripheren Grenzregionen – der inneren Peripherien Europas – für die Etablierung und Tradierung nationalstaatlicher Identitäten und Erinnerungsrahmen hin.
BMBF-Verbundvorhaben „Lost in Translation? Europabilder und ihre Übersetzungen. Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart“, Teilprojekt „Bilder europäischen Kulturerbes im 20. Jahrhundert“