Call for Papers

Racial Capitalism: Marxismus trifft Postkoloniale Studien 5./6. Oktober 2023, Universität Kassel

In den vergangenen Jahren ist racial capitalism zu einem vieldiskutierten Begriff avanciert. Nicht zuletzt die Black Lives Matter Bewegung hat, ausgehend von den USA und Großbritannien, dazu beigetragen, dass das Verhältnis von Rassismus und Kapitalismus wieder verstärkt Eingang in aktivistische und wissenschaftliche Diskussionen findet. Inzwischen prägt der Begriff Diskussionen in zahlreichen gesellschaftlichen Bereichen und Disziplinen der kritischen Gesellschaftswissenschaften. Die häufige Verwendung des Konzepts geht jedoch mit unklaren bis widersprüchlichen Argumentationen einher, die u.a. folgende Problemstellungen umfasst: Ist die Verschränkung von Rassismus und Kapitalismus kontingent oder logischerweise notwendig? Wie werden Rassismus und Kapitalismus jeweils definiert und historisch eingeordnet? Wie unterscheidet sich das Verhältnis von Rassismus und Kapitalismus in unterschiedlichen Weltregionen und Zeiträumen? Und wie lässt sich der Herrschaftszusammenhang von Rassismus und Kapitalismus überwinden?

Diese Fragen sind freilich nicht neu und schließen an intensive Debatten der 1980er Jahre sowie frühere Auseinandersetzungen innerhalb von und zwischen anti-kolonialen Bewegungen an. Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass klassische Werke der sogenannten Black Radical Tradition (WEB Du Bois, CLR James, Claudia Jones, Frantz Fanon, Walter Rodney, Angela Davis u.a.) neu gelesen und interpretiert werden, um gegenwärtige Verhältnisse zu verstehen, zu kritisieren und zu überwinden. Diese Autor*innen haben ausgehend von marxistischen Kategorien und als Kritik an einem eurozentrischen Marxismus die Relevanz von Rassismus und (Post-)Kolonialismus für kapitalistische Gesellschaften herausgearbeitet. Darüber hinaus sind diese Debatten jenseits des Begriffs racial capitalism von größter Relevanz für eine kritische Gesellschaftstheorie und -praxis.

Spätestens seit den 1990er Jahren überschattet das Spannungsverhältnis zwischen Marxismus und Postkolonialen Studien entsprechende Diskussionen in der Wissenschaft und in sozialen Bewegungen. Bisweilen sind die Fronten derart verhärtet, dass die beiden kritischen Perspektiven, in dem jeweils anderen, einen Antagonist sehen und theoretische, methodische und politische Differenzen unüberbrückbar erscheinen. Zuletzt wurde dies an der erhitzten Debatte deutlich, die Vivek Chibbers Postkoloniale Theorie und das Gespenst des Kapitals ausgelöst hat. Gegenwärtige Diskussionen zu racial capitalism liefern demgegenüber vielversprechende Ansatzpunkte für eine Forschung, die beiden Perspektiven gerecht wird.

Vor diesem Hintergrund möchte das Fachgebiet Entwicklungspolitik und Postkoloniale Studien an der Universität Kassel mit der Konferenz einen Raum bieten, um gemeinsam mit (aktivistischen) Wissenschaflter*innen aus unterschiedlichen Kontexten diese Debatten zu intensivieren und deren Relevanz für den deutschsprachigen Raum herauszuarbeiten. Neben Keynote-Vorträgen von Gargi Bhattarchayya (University of East London) und Kolja Lindner (Université Paris 8, Vincennes-Saint-Denis), einer Podiumsdiskussion sowie der Vorstellung von Artikeln/Beiträgen, wird es Möglichkeiten für kritisch-konstruktive Diskussionen in kleineren Gruppen geben, in denen etwa wissenschaftstheoretisch oder konzeptionelle Kontroversen, methodische Herausforderungen, oder strategische Fragen vertieft debattiert werden können.

Wir freuen uns über theoretische und empirische Beiträge, die das Verhältnis von Rassismus, (Post-)Kolonialismus und Kapitalismus untersuchen. Idealerweise versuchen diese aktuelle Forschungslücken zu schließen und innovative Synthesen unterschiedlicher Forschungsprogramme vorzustellen. Wissenschaftler*innen in der Promotionsphase sind besonders gefragt ihre Forschungsvorhaben vorzustellen.


Beiträge können etwa zu folgenden Themenfeldern und Fragestellungen eingereicht werden:

Marxismus und Postkolonialismus

  • Ist ein marxistischer Postkolonialismus bzw. ein postkolonialer Marxismus möglich und nötig?
  • Welche ontologischen, epistemologischen und politisch-strategischen Spannungen ergeben sich aus historisch-materialistischen und poststrukturalistischen Erklärungsansätzen zur Verflechtung von Rassismus und Kapitalismus und wie können diese überwunden werden?
     

Rassismus und Kapitalakkumulation

  • Wie artikuliert sich das Verhältnis von Rassismus und Kapitalismus in gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen?
  • Welche Rolle spielen staatliche Organe (z.B. die Polizei, Grenz- und Migrationsregime, autoritär-rassistische Regierungen) für die Absicherung der rassistisch-kapitalistischen (Re)Produktionsweise?
  • Welche Rolle spielt rassistische Unterdrückung in Prozessen der Kapitalakkumulation und vice versa (anhand historisch und geografisch spezifischer Analysen)?
  • Wie verändern Trends der Finanzialisierung und Digitalisierung die Muster rassistischer Unterdrückung und Ausbeutung?
     

Neo-Kolonialismus und Imperialismus in den internationalen Beziehungen

  • Inwiefern sind Geopolitik, Imperialismus und Neo-Kolonialismus heute von und durch Rassismus geprägt?
  • Wie manifestiert sich diese Verflechtung in der internationalen Zusammenarbeit/Entwicklungspolitik?
  • Welche Bedeutung kommen dabei gegenhegemonialen Foren der internationalen politischen Ökonomie zu (z.B. in der Tradition von Bandung, Trikont, Neue Weltwirtschaftsordnung)?
     

Globale Wertschöpfung und internationale Arbeitsteilung

  • Welche Bedeutung hat Rassismus in globalen Wertschöpfungsketten?
  • Wie wird durch die internationale Arbeitsteilung zugleich ökonomische (Über)Ausbeutung wie auch rassistische Unterdrückung reproduziert und von sozialen Kräften herausgefordert?
     

 „Rasse“, Klasse und Geschlecht

  • Inwiefern sind Regime und Krisen der sozialen Reproduktion sowie vergeschlechtlichte Arbeitsteilung und patriarchale Herrschaft von Rassismus durchzogen?
  • Wie wird Rassismus im Alltag erlebt und welche Rolle spielen Klasse und Geschlecht in diesem Erleben?
  • Welche Perspektiven bieten feministische politökonomische Ansätze, um marxistische und postkoloniale Forschungsperspektiven intersektional zusammenzudenken?
     

Klimagerechtigkeit

  • Wie sind die eskalierende Klimakrise, fossile Infrastrukturen, Strategien einer grünen Ökonomie sowie Kämpfe um Klimagerechtigkeit von und durch (Anti-)Rassismus bzw. (Anti-)Kapitalismus geprägt?
     

Politische Strategien sozialer Bewegungen

  • Welche Fragen und Erkenntnisse bietet die politische Praxis/Organisierung emanzipatorischer Kämpfe für die oben genannten Fragen?
  • Welche praktischen Konsequenzen resultieren aus der Synthese historisch-materialistischer und postkolonialer Forschung?
  • Welche Widersprüche und Möglichkeiten ergeben sich für internationale Solidarität, Arbeitskämpfe und Strategien sozialer Bewegungen (Identitätspolitik, verbindende Klassenpolitik, etc.)?
     

Abstracts (max. 400 Wörter) können bis zum 4. Juni 2023 unter racialcapitalism[at]uni-kassel[dot]de eingereicht werden. Die Rückmeldungen zu den Einreichungen werden bis Mitte Juni verschickt. Weitere Infos zur Veranstaltung gibt es demnächst auf unserer Website.

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