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20.11.2022 | Literaturkritik

»Katar: Sand, Geld und Spiele« von Nicolas Fromm: Wie Katar die Welt regiert

von Felix Thielemann

Bild: Felix Thielemann

Katar. Kritisiert, viel diskutiert, gefürchtet, aber vor allem eins: unbekannt. Denn trotz zahlreicher Schlagzeilen und einem riesigen Diskurs rund um Menschenrechte und Fußballturniere in Katar, bleibt für viele weiterhin nur ein großer Schleier der Unklarheit über dem arabischen Emirat. Nicolas Fromm will diesen in Katar: Sand, Geld und Spiele lüften und die Hintergründe aufzeigen, wie aus einer mittelgroßen Halbinsel am Persischen Golf einer der größten Player in der Globalpolitik des 21. Jahrhunderts werden konnte. 

Wohl kaum einem Land gelang es in den letzten Jahren seine internationale Bekanntheit so zu steigern, wie Katar. Bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts, spätestens aber 1995 mit dem Aufstieg von Hamad bin Chalifa Al Thani zum Emir, legt das Land große Bemühungen zu Tage, den eigenen Status zu vergrößern, sei es nun in Bezug auf finanzielle Mittel oder internationales Prestige und Ansehen. Angetrieben werden diese Bemühungen durch immense Profite von Öl und Gas in die ganze Welt. In der Konkurrenz steht man dabei vor allem mit den größeren Nachbarländern wie Saudi-Arabien, die ein ähnliche Strategie verfolgen und unter anderem ebenfalls in diverse europäische Sportvereine investieren, weswegen Fromm diesbezüglich auch von „Stellvertreterkriege[n] auf dem Spielfeld“ spricht.

Dabei stellt das Buch gut und verständlich dar, wie Katar trotz eines fast ausschließlich von trockenen Wüsten durchsetzen Staatsgebietes, das etwa der Hälfte des Bundeslandes Hessen entspricht, zu diesen finanziellen Mitteln kam und wie das Land ursprünglich von der heutigen Herrscherfamilie im Krieg mit diversen arabischen Staaten erst erkämpft und schlussendlich 1878, unter Mithilfe der britischen Krone, als Staat gegründet wurde (die vollständige Unabhängigkeit folgte 1971). Besonders dieser Blick auf die Anfänge Katars und die nomadischen Ursprünge der Bevölkerung, die schließlich vor allem an den Küsten sesshaft wurde und sich dort ihren Lebensunterhalt durch das Perlentauchen verdiente, bringen einem diese Region deutlich näher, als es Bilder und Zahlen der heutigen Wolkenkratzer und Multi-Milliardäre jemals könnten. Das Ganze geschieht dabei auch auf eine Art und Weise, die jegliches Vorwissen optional macht. Selbst wer noch nichts über die Region sowie die dortigen Länder und Kulturen weiß, wird Fromms Erklärungen hier ohne Schwierigkeiten folgen können.

Auch zeigt Fromm wunderbar auf, wie Katar bereits seit mehreren Jahrzehnten – spätestens aber seit einem großen Entwicklungsplan von 2008 – versucht, sein vor allem an den weltweiten Öl- und Gas-Preisen hängendes Vermögen zu diversifizieren, indem aktiv Investments in unzählige westliche Firmen verschiedenster Bereiche getätigt werden. So geschehen unter anderem bei der Deutschen Bank, Siemens, Tiffany & Co. oder Volkswagen. Auch Partnerschaften mit bspw. der Deutschen Bahn stehen hier an der Tagesordnung. Der Einfluss des Emirats erstreckt sich also nicht mehr nur in der für viele Menschen wohl eher fremden und fernen Öl-Industrie spüren, sondern auch sehr direkt auf lokal deutsche Unternehmen, die für uns alle zum Alltag gehören.

Besondere Aufmerksamkeit wird dabei – auch in Blick auf die Thematik der Fußball-Weltmeisterschaft – dem Kauf und der Verwaltung des französischen Fußballvereins Paris Saint-Germain geschenkt. Seit 2012 ist Katar hier alleiniger Inhaber und investierte seitdem allein circa 2 Milliarden Dollar für Transfersummen, um weltweit bekannte Stars wie Messi, Mbappé und Neymar anzulocken und zu Werbeschildern katarischer Unternehmen und damit des Staates Katar selbst zu machen.

In diesem Sinne summiert Fromm auch übersichtlich und eindrücklich, wie Gastarbeiter:innen, die von den – gemessen an ihren Heimatländern – relativ hohen Löhnen nach Katar gelockt werden, um den industriellen Wachstumswahn der katarischen Industrie sowie dem Bau unzähliger luxuriöser Wolkenkratzer und Fußballstadien zum Opfer zu fallen. Und auch diejenigen, die mit ihrem Leben und körperlicher Unversehrtheit davonkommen, müssen in ständiger Angst leben, haben sie doch kaum Rechte in Katar und können sogar für das Fernbleiben von der Arbeit verhaftet werden, von Rechten für Frauen oder Personen der LGTBTQ+ Community mal ganz abgesehen.

Während all dieser Betrachtungen und Einordnungen nimmt Fromm stets eine besonnene, aber trotzdem eindeutig kritische Haltung gegenüber der katarischen Regierung ein und hinterfragt sowie widerlegt Behauptungen und Propaganda dieser stets mit wissenschaftlicher Professionalität. Dies gelingt ihm auch, trotz der Tatsache, dass es sich bei dem Werk ja „nur“ um ein Übersichtswerk mit dementsprechend geringer Seitenanzahl handelt. Umso irritierender wirkt es dann, wenn er am Ende, nachdem er die Verleihung und Ausrichtung der WM in relativ kurzem Ausmaß abgehandelt hat, davon spricht, dass es Einheimische und anreisende Fans nun gemeinsam in der Hand hätten, die WM zu „entpolitisieren und […] zu einem Vorbild der Weltoffenheit und es kulturellen Austauschs zu machen“. Es wirkt, als hätte Fromm selbst nicht verstanden, zu welchen Ergebnissen er in den vorherigen Kapiteln gekommen ist oder als wäre das Fazit von einer anderen Person verfasst worden wäre. Vergessen scheinen die vorher beschriebene Unterdrückung von Gastarbeiter:innen, Frauen und Personen der LGBTQ+ Community. Egal sind plötzlich die Unterdrückung von Presse und Menschenrechtler:innen. Und ignoriert scheint erst recht, dass diese naive und optimistische Herangehensweise an die WM genau das ist, was das katarische Königshaus will, um sich selbst in der globalen Weltpolitik weiter zu etablieren und für Anerkennung und Akzeptanz in den Bevölkerungen westlicher Länder zu sorgen, die ihr Geld über den Tourismus nach Katar bringen sollen, um dort z.B. in klimatisierten Hallen, mitten in der Wüste, Ski zu fahren. Ein „Vorbild der Weltoffenheit“ ist schlicht völlig unmöglich, an einem Ort an dem Dinge wie „Blasphemie“ und Homosexualität weiterhin unter Strafe stehen und bis zu sieben Jahre Gefängnis nach sich ziehen können.