Plesse

Plesse

Die 1015 erstmalig erwähnte Burg Plesse, östlich von Bovenden (Kreis Göttingen) auf einem Bergsporn gelegen, war seit 1150 Sitz der Edelherren von Plesse. 1447 begründeten diese aus politischen Gründen ein Lehensverhältnis mit den Landgrafen von Hessen, das 1571 durch den Tod Dietrichs IV. von Plesse erlosch.[437] Die wehrhafte Burg fungierte fortan als hessischer Amtssitz. Landgraf Moritz plante zu Beginn der zwanziger Jahre einen Ausbau der Befestigung[438] und nutzte die hessische Exklave 1624/25 als sicheren Zufluchtsort für sich und seine Familie, als die Kriegsereignisse ihn zur Flucht aus Kassel zwangen.

Seine Zeichnungen, die die Burg und ihre Befestigungen von allen Seiten zeigen, entstanden höchstwahrscheinlich sämtlich in Zusammenhang mit den Aufent­halten 1624/25 und belegen sein Bemühen um eine Sicherung der Anlage durch ein modernes Bastionärsystem, wie es die zeitgenössischen Architekturbücher propagierten.[439] Vor allem beschäftigte ihn das Projekt, ein neues Außenwerk an der Ostseite der Burg anzulegen, um damit das Tor zu schützen.[440] Die dafür veranschlagten Baukosten konnten aber nicht aufgebracht werden.[441] 1627 wurde die Burg aufgrund von Streitigkeiten zunächst an die Landgrafen von Hessen-Darmstadt übergeben, gelangte aber wenig später in die Rotenburger Quart, das Erbteil der Kinder aus der zweiten Ehe des Landgrafen Moritz.

1660 wurde die Burg als Amtssitz aufgegeben und diente als Steinbruch. Im 18. Jahrhundert als romantische Ruine verklärt, wurde der weitere Verfall ab 1820 durch Sicherungsarbeiten aufgehalten.

 

2° Ms. Hass. 107 [278] verso

Hauptburg mit Entwurf für Befestigung

Die Vogelschauansicht ist von Westen gesehen und zeigt den Burgbereich vom Eichsfeld bis zum großen Turm. Der Zugang erfolgte von Südosten über den Vorhof durch das Pforthaus zum  Mittelhof mit dem kleinen Turm und von dort aus über die Rampe zum „schloßhoff“.  Westlich des Turmes lag das „Eichsfeldt“, von dem aus man in den lang gestreckten Zwinger auf der Nordseite gelangte, der sich bis zum „Catzengarten“ erstreckte.

Unterhalb dieser Anlage skizzierte Landgraf Moritz hier eine weitere Befestigung, die weitgehend dem Verlauf der vorhandenen Mauer folgen sollte.

 

2° Ms. Hass. 107 [279] recto, oben

Burg mit Entwurf für Befestigung von Südwesten

Für die Zeichnung der Burg von Südwesten benutzte der Landgraf ein bereits benutztes Blatt, worauf die Textbruchstücke am oberen Rand zurückzuführen sind, die zum Teil bis in die Zeichnung reichen.

Die sorgfältige beschriftete Ansicht verzeichnet im Mittelhof das „Backhauß“ und die „Capelle“ neben dem kleinen Turm. Auf dem Eichsfeld liegt das Haus für die „Corp de Garde“, ursprünglich eine Mühle, die Landgraf Moritz für seine Wache umbauen ließ.[442] Hinter dem "schloßthor" folgt der Hof der Kernburg mit den einander gegenüberliegenden Bauten von  "Alter hern baw" und "Neuer hern Baw" sowie den westlich anschließenden Gebäuden. Bei dem namentlich genannten „Marstall“ handelt es sich möglicherweise um jenen Neubau, den der Amtmann 1605/06 errichten ließ.[443] Kennzeichnend für alle diese Bauten ist die einheitliche Verwendung von Fachwerkkonstruktionen, wobei die beiden großen Wohngebäude und die Kapelle aber noch über eine hohe, steinerne Basis verfügten.

Unterhalb des “Eichsfeldes“ hat Landgraf Moritz in diesem Fall eine weitere Befestigung mit Bastionen eingezeichnet, die, wie die ballistischen Linien verraten, eine bessere Verteidigungsfähigkeit der Burg gewährleisten sollte.

 

2° Ms. Hass. 107 [280] recto

Burg von Norden mit Entwurf für eine Befestigung an der Westseite

Die Vogelschauansicht von Norden gibt die in 2° Ms. Hass. 107 [279] recto, oben wiedergegebenen Gebäude der Kernburg mitsamt  „Eichsfeldt“ und „Corridor“ aus nahezu entgegengesetztem Blickwinkel wieder, wiederum ergänzt durch den Entwurf einer Befestigung mit mehreren Bastionen, die die Westseite der Anlage verstärken sollten.

 

2° Ms. Hass. 107 [279] recto, unten

Burg mit Entwurf für Befestigung von Norden

Die kleine Detailzeichnung, die unterhalb einer Ansicht der Burg von Südwesten eingefügt ist,  präsentiert die dort von der Innenseite gesehene nördliche Fassade der Anlage zwischen Eichsfeld und Katzengarten. Auch in diesem Fall ergänzt eine weitere Befestigung am Hang die vorhandenen Mauern.

 

2° Ms. Hass. 107 [280] verso

Burg von Nordosten

Die von Nordosten anvisierte Vogelschauansicht  auf einem weiterverwendeten Schriftstück (Siegelrest!) gibt Einblick in den sog. Catzengarten hinter dem großen Wehrturm in der Kernburg und den östlich anschließenden sog. Caningarten. Entlang des südlich angrenzenden Vorhofs zwischen den beiden Torbauten zeichnet Landgraf Moritz hier zwei steinerne (Wirtschafts?)-Gebäude ein, deren Funktion nicht erläutert ist. Neu scheint auch die Sicherung des unteren Tores mit dem schon vorhandenen Rondell und der Brücke über den Graben durch weitere Mauern im Süden der Anlage.

 

2° Ms. Hass. 107 [281] recto

Kernburg und Vorburg von Westen mit vorgelagerter Bastion

In dieser Zeichnung gibt Landgraf Moritz einen detaillierten Einblick  von Westen in den Hof der Kernburg und die angrenzende Vorburg mit dem „Caningarten“ und dem Vorhof. Die im Vordergrund der Zeichnung angesiedelten Gebäude im Schlosshof einschließlich des Turms sind der besseren Übersichtlichkeit halber im Grundriss gegeben. Dabei wird die innere Raumstruktur im Erdgeschoß von „altem“ und „neuem“ Herrenhaus sichtbar.  Der alte Herrenbau an der Nordseite verfügte auf der einen Seite über vier kleinere Räume, während auf der anderen Seite des Eingangsflurs ein großer Raum, vielleicht die Hofstube lag.[444] An den gegenüberliegenden kleineren neuen Herrenbau schloss im Osten die Küche an. Die Fachwerkgebäude hinter dem großen Turm dienten wahrscheinlich als Scheunen bzw. Wohnungen für das Personal.

Sehr sorgfältig ist die Befestigung im Osten der Anlage verzeichnet. Der „Caningarte“ ist durch die Wehrmauer mit Schalenturm und den Graben geschützt.  Das neu konzipierte breite Tor am „Vorhoff“ wird in diesem Fall durch die geplante Bastion im Westen (vgl. 2° Ms. Hass. 107 [279] recto, oben) gesichert, von der aus man die Brücke über den Graben mit Kanonen bestreichen konnte, wie die eingezeichneten ballistischen Linien verdeutlichen.

 

2° Ms. Hass. 107 [282]

Hauptburg mit Vorburg von Osten

In dieser skizzenhaften Zeichnung der Burganlage konzipiert Landgraf Moritz ähnlich wie in 2° Ms. Hass. 107 [280] versound [281] verso, oben weitere Befestigungen an der östlichen Seite der Burg, wo ein tiefer Graben natürlichen Schutz bot. Auch hier belegen die vermerkten ballistischen Linien die Orientierung an den zeitgenössischen Publikationen zur Festungsbaukunst wie z.B. Specklins „Architectura von Vestungen“ von 1589.[445]

 

2° Ms. Hass. 107 [281] verso, oben

Ausschnitt aus der Befestigung der Vorburg

In dieser kleinen Skizze auf einem Blatt mit mehreren Zeichnungen, die durch arithmetische Berechnungen und Bruchstücke von Text verunklärt wird, beschäftigt sich Landgraf Moritz noch einmal mit der Idee, die nordöstliche Partie der Burg mit weiteren Befestigungen zu sichern (vgl. 2° Ms. Hass. 107 [282]).

 

2° Ms. Hass. 107 [283] recto

Entwurf für ein bastionäres Außenwerk

Die Vogelschauansicht des im Osten des Burgareals gelegenen sog. Caningarten ergänzt zu der vorhandenen Anlage ein neues Außenwerk mit drei Bastionen am gegenüberliegenden Hang über dem tiefen Graben.

 

2° Ms. Hass. 107 [283] verso

Vorburg mit Entwurf für ein bastionäres Außenwerk, dazu "Balneum Mariae"

Ebenso wie die Darstellung auf der Vorderseite thematisiert auch diese Vogelschauansicht die Anlage eines Außenwerks mit Bastionen östlich vor der Burg. Auf diese Weise wäre das untere Tor besonders geschützt worden.

Die unter der Zeichnung liegenden Notizen in roter Tinte stehen nicht im Zusammenhang mit der Darstellung und verweisen auf die Sekundärverwendung eines Schriftstücks.

Die kleine Skizze am unteren Rand zeigt ein alchemistisches Gerät, ein „Balneum Mariae“, daneben sind die Ingredienzien für eine Legierung notiert. Das Übergabe-Inventar der Burg von 1627[446] vermerkt im „Mittelhaus“ neben dem Alten Herrenbau ein Laboratorium. Dort konnte der Landgraf während seiner Aufenthalte vermutlich seinen alchemistischen Studien nachgehen.

 

2° Ms. Hass. 107 [281] verso, unten

Entwurf zur Befestigung der Vorburg (Detail)

In Weiterführung des in 2° Ms. Hass. 107 [283] verso vorliegenden Entwurfs für ein neues Außenwerk konzipiert Landgraf Moritz in dieser kleinen Zeichnung eine zusätzliche doppelte Befestigung mit Bastionen an der Südseite des Tores.

Der oben links ausgesparte Text "François d'Alin duc de Saveroy / marquis de la Bresne, g[..] intendent / de l' artiglerie de S.M. de France es / Provinces de Bretagne, Normandie & / Picardie et pais confins.", der Titel eines nicht verizierbaren französischen Herzogs, steht in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Darstellung.

 

2° Ms. Hass. 107 [278] recto

Vorburg mit Entwurf für Außenwerk, 1624

Die Zeichnung präzisiert mit genauen Maßangaben die in 2° Ms. Hass. 107 [283] recto skizzierte Anlage eines neuen Außenwerks vor dem Tor im Osten der Burg. Vom halbrunden „Revelin“ am Tor aus führt ein Weg nach Norden, wo ein weiteres Tor eine zusätzliche Sicherung des Zugangs gewährleistet. In der regelkonformen Anlage mit drei Bastionen entspricht dieses Außenwerk den in den zeitgenössischen Architekturbüchern für Festungen vorgegebenen Regeln.

Die Beschriftung in der Darstellung "Das Neue Aussenwergk, so noch / gemacht werden soll / 1624. den 1 Decemb: M.H.L." belegt, dass die in den Zeichnungen greifbaren Planungen des Landgrafen einen realen Hintergrund hatten. Wie so oft scheiterte auch hier die Ausführung vermutlich an mangelndem Geld.

 


[437] vgl. Last 1977, Aufgebauer 2000

[438] vgl. die Akte im HStAM Best. 4f Plesse 500

[439] vgl. etwa Specklins „Architectura von den Vestungen“ von 1589 oder Wilhelm Dilichs „Kriegsbuch“ von 1608

[440] HStAM Best. 4f Plesse Nr. 500+503

[441] Last 1977, S. 150

[442] Last 1977, S. 108

[443] Last 1977, S. 144

[444] Last 1977, S. 102

[445] siehe z.B. das Bl. 10, Fischer 1996, Abb. 7

[446] HStAD Best. D 6 46/2, vgl. Last 1977, S. 98