Kaufungen, ehem. Kloster (Stift)

Kaufungen, ehem. Kloster (Stift)

1017 gründete Kaiserin Kunigunde das Benediktinerinnenkloster Kaufungen, in das sie nach dem Tode Heinrichs II. als Nonne eintrat.[294] Bereits 1025 konnte die Kirche geweiht werden. Der ursprünglich reichsunmittelbare Besitz gelangte 1086 an die Bischöfe von Speyer und unterstand ihnen bis 1226. Spätestens 1132 wurde das Kloster in ein Kanonissenstift umgewandelt. 1509 erfolgte eine Reform des Klosterlebens gemäß den Regeln der „Bursfelder Kongregation“. Nach der Säkularisierung 1527 wurde der Besitz 1532 zusammen mit dem Kloster Wetter der hessischen Ritterschaft zur Ausstattung ihrer Töchter über­wiesen, „Vnd stehet dieses Closter der Ritterschafft deß Nider-Fürstenthumbs Hessen zu / darauß jegliche Adeliche Jungfraw / so verheuratet wird / ein hundert Goldgülden / zum Brautschatz / fallen hat“[295]. Während die erwirtschafteten Einkünfte zunächst nur für die Ausstattung adliger Töchter verwendet wurden, ging man im Jahre 1735 dazu über, auch andere Bedürftige zu unterstützen.[296] Noch heute widmet sich das „Ritterschaftliche Stift Kaufungen“ gemeinnützigen Zwecken.

Die Zeichnungen des Landgrafen zeigen den Klosterbezirk rings um die Hallenkirche mit spätgotischem Chor, dem ehemaligen Kreuzgang und den sie umgebenden Höfen bis zur „Freyheit“ und dem „Lindenplatz“ in Ansichten aus verschiedenen Richtungen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem südöstlichen Vorhof mit dem Haus des Vogtes Anton Becker, der mehrfach namentlich genannt wird. Wie aus den erhaltenen Akten hervorgeht, versuchte der Landgraf 1621/22 dessen „hofreite undt zugehör ahn das Kloister stoßend“, - auch als „Hüttenhof“ bezeichnet -, zu kaufen, um „eine eigene possession daselbst in od[er] bey unserem dorf kauffungen“ zu erhalten. Das Vorhaben scheiterte aber u.a. aufgrund des Widerstands der Vorsteher der Ritterschaft, „sintemalen die behaußung uffs Stifts grundt undt bodten undt In deßen Ringkmauer stünde“, - der Landgraf versuchte stattdessen den außerhalb gelegenen „Diegelschen Hüttenhoiff bey Kauffungen““ zu erwerben.[297] Die sämtlich nicht datierten Ansichten dürften folglich in diesem Zusammenhang entstanden sein.[298]

Die beiden Doppelfolioblätter (2° Ms. Hass. 107 [215] + [216]) waren ursprünglich zusammengeheftet (übereinstimmende Nadelspuren im Falz), so dass sich daraus eine Art Notizkladde ergab, - es lässt sich aber nicht mehr eindeutig klären, ob diese Bindung schon durch den Landgrafen oder erst später in der Plankammer erfolgte.

 

2° Ms. Hass. 107 [216] recto,  unten rechts

Stiftsbezirk

Die Vogelschauansicht von Südwesten auf dem beidseitig genutzten Doppelfolioblatt präsentiert den gesamten Bezirk des ehemaligen Klosters mit seinen Höfen in anschaulicher Weise übereck ins Bild gesetzt. Die kreuzförmige Kirche besitzt  einen rechteckigen Westturm an den nördlich der sechseckige „Archivturm“ angrenzt. Während auf der Nordseite der „kirch hoff“ und der „garten hinder der kirchen“ liegen, gruppieren sich auf der anderen Seite um den „Creutz ganges garten“ (die alte Klausur)  der „Chloster hof“ im Westen sowie „Antonij Beker hof“, d.h. der Hof des Vogtes im Osten.  An der Südseite des Klausurgebäudes befindet sich ein kleiner Garten ("Elias Bekers s. / garten."), der durch eine Mauer vom „grossen lindenplatz“ entlang der südlichen Mauer des Geländes abgegrenzt wird. Sehr detailliert ist die Bebauung am „Chloster hof“ mit der darin liegenden Pferdeschwemme  geschildert,  die auch in 2° Ms. Hass. 107 [214] recto, unten eingezeichnet ist. Neben der Westfront der Kirche  erhebt sich das neue Gebäude der 1606 – 1608 errichteten Renterei,[299] ein stattlicher Fachwerkbau mit zwei Zwerchgiebeln über dem steinernen Erdgeschoss. Die Wiedergabe des Gebäudes mit den beiden rundbogigen Portalen entspricht allerdings nur annähernd dem heute noch vorhandenen Bestand, so dass die Vermutung naheliegt, dass Landgraf Moritz die Zeichnung aus der Erinnerung anfertigte.

 

2° Ms. Hass. 107 [214] recto, unten

"Prelaten hof" von Westen

In dieser mit Maßangaben versehenen Vogelschau von Westen schildert Landgraf Moritz den hier als „Prelaten hof“ bezeichneten Klosterhof  in ähnlicher Gebäudeanordnung wie in 2°  Ms. Hass. 107 [216] recto, unten rechts. Einfache Fachwerkgebäude verschiedener Größe umgeben den Hofplatz mit der Pferdeschwemme. Die Westfront der Kirche und die Renterei, die hier korrekt mit einem zentralen Rundbogenportal versehen ist, sind im Hintergrund nur angeschnitten wiedergegeben. Diverse Wege gehen vom Torgebäude des Hofes aus: der "Weg nach der thor[?] hütten" sowie derjenige  „nach volmars hausen" verlaufen parallel in nördliche Richtung, während der  "Weg nach dem Bilchen[?]" (gemeint ist wahrscheinlich der Belchen bzw. Belger Kopf) durch die „freyheit“ hindurch nach Westen geht.

 

2° Ms. Hass. 107 [215] recto, oben rechts

Stiftsbezirk von Westen

Das zweite Doppelfolioblatt  beinhaltet auf der Vorderseite eine Ansicht des gesamten Klosterkomplexes von Westen. Ähnlich wie in 2°  Ms. Hass. 107 [216] recto, unten rechts umfasst die Darstellung sämtliche Höfe innerhalb der Einfriedungsmauer, wobei unten in der Mitte die Einfahrt zum Klosterhof liegt. Übereinstimmend mit 2° Ms. Hass. 107 [214] recto, unten verfügt die Renterei auch hier über einen zentralen Eingang  und über zwei Zwerchgiebel, die allerdings im heutigen Zustand deutlich größer angelegt sind.

 

2° Ms. Hass. 107 [216] verso,  rechts

Südöstlicher Hof von Westen

Auf der Rückseite der Darstellung des Klosterkomplexes von Südwesten befindet sich diese sorgfältige, mit Hilfe von Zirkel und Lineal angelegte Zeichnung, die den südöstlichen Hof mit dem Vogtshaus von Westen zeigt. Die Gebäude der ehemaligen Klausur ("das hinder gebeu am Chloster", "Dormitorium") sind dabei nur im Grundriss angedeutet, um die ungehinderte Einsicht in den Hof zu ermöglichen.

Direkt an die Klausur schließt sich links der "Sud Chor an der Kirchen" an, wobei das Gebäude im Gegensatz zu der Darstellung in 2° Ms. Hass. 107 [215] recto direkt an die westliche Wand des Kreuzarmes angrenzt. Die Mauer entlang des Gartens führt bis zu "Anthonij Beker Vogtes zu Kaufung[en] / hauß", einem Fachwerkgebäude, dessen steinernes Sockelgeschoss überraschenderweise die charakteristische Gliederung der Renterei mit dem zentralen Portal unter zwei Oberlichtern zwischen Zwillingsfenstern aufweist, - auch dies wieder ein Hinweis darauf, dass der Landgraf hier vermutlich aus der Erinnerung zeichnete. Rechts neben dem Tor befindet sich hier wie in anderen Zeichnungen "Elias Be / kers s. hauß".

Interessant ist der Einblick in das Innere des „Brauhauß“ mit eigentümlichen Rundbogenöffnungen auf der rechten Seite, das direkt an das Dormitorium anschließt. Es handelt sich hierbei um die ehemalige Georgskapelle, die nach der Reformation profanen Zwecken diente und noch heute vorhanden ist.

 

2° Ms. Hass. 107 [215] verso, oben rechts

Südöstlicher Vorhof, Lageplan

Auf der Rückseite des zweiten Doppelfolioblattes mit einer Ansicht des Klosterkomplexes von Westen befinden sich zwei weitere Darstellungen des südöstlichen Hofes mit dem Haus des Vogtes Anton Becker. Die obere Zeichnung präsentiert einen skizzenhaften Lageplan der Gebäudegruppe, wie sie auch in der unteren Darstellung in der Vogelschau zu sehen ist. Interessant ist hierbei die Erweiterung des Vogtshauses durch den Anbau eines „Bakauß" und die Erläuterung eines durch gestrichelte Linien angedeuteten Areals im Hof "hier soll die / vogtliche Stallung stehen" – möglicherweise ein Hinweis auf geplante Veränderungen.

 

2° Ms. Hass. 107 [215] verso, unten rechts

Südöstlicher Vorhof von Osten

Ebenso wie die obere Darstellung zeigt auch diese Zeichnung auf der rechten unteren Hälfte eines Doppelfolioblattes den südöstlichen Hof an der Stiftskirche, der hier als "Prior hoff " bezeichnet wird, allerdings in der Vogelschau von Osten, wobei die beiden Gebäude an der Südmauer ("Elias s. hauß", "Anthonij Beker hauß") hier im Horizontalschnitt gegeben sind, der einen Einblick in die Raumdisposition des Erdgeschosses ermöglicht. Die Maßangaben stimmen dabei mit denen des Lageplans überein, so dass der inhaltliche Bezug von oberer und unterer Darstellung auf diesem Blatt evident ist.

Im Schnitt wird deutlich, dass die beiden Gebäude auf der Südseite neben dem Tor auch direkt vom „lindenplatz“ her  zugänglich waren, ein durchgehender „Ehrn“ bestimmt  jeweils die räumliche Organisation, die im Falle des Vogthauses neben einer Stube auf der linken Seite Küche und Speisekammer sowie den Backhausanbau auf der anderen Seite umfasst.

Auch hier ist das "Brau hauß" in der ehemaligen Georgskapelle links neben dem „Closter“ untergebracht, die durch die halbkreisförmige Apsis und die Rundbogenfenster in ihrer ursprünglichen Funktion kenntlich wird.

 

2° Ms. Hass. 107 [214] recto, oben

Südöstlicher Vorhof von Osten

Übereinstimmend mit 2° Ms. Hass. 107 [215] verso, unten rechts gibt die Zeichnung eine Vogelschau des südöstlichen Vorhofes von Osten, wobei im Vordergrund der abgeböschte „linden platz“ liegt. Die eingetragenen Maßangaben differieren allerdings an einigen Stellen. Das ehemalige Klausurgebäude grenzt auch hier an die Westseite des südlichen Kreuzarmes. Am linken und unteren Rand der Zeichnung verunklären vermutlich später hinzugefügte arithmetische Berechnungen (links) sowie eine detaillierte Aufstellung der Unterhaltskosten der fürstlichen Verpflegung ("hern tisch", "officium tisch", "gemeine tisch"), die Darstellung. Der senkrecht an der Anlage entlang verlaufende „weg nach der freiheit“ wird begleitet durch den „Weg vom Schwartzenberge“ und den „Weg aus dem dorffe her“.

 

2° Ms. Hass. 107 [213] recto

Südöstlicher Vorhof (Hüttenhof) von Osten

Eine weitere Variante des sog. Hüttenhofes von Osten präsentiert diese Darstellung, deren uneinheitliche Perspektive erhebliche Brüche und Versprünge im räumlichen Zusammenhang verursacht. Auf diese Weise kommt der irritierende Sachverhalt zustande, dass das östliche Klausurgebäude auf der einen Seite an die Georgskapelle anstößt,  an der anderen Seite aber fälschlicherweise am Westturm der Kirche endet.

 

2° Ms. Hass. 107 [213] verso, links

Stiftskirche von Osten

Die kleine Vogelschauansicht auf der linken Blatthälfte beschränkt sich auf die Wiedergabe der östlichen Kirchenpartie mitsamt der Einfriedung und der davor gelegenen abgeböschten Terrasse.  Die in diesem Fall ergänzte kleine Futtermauer zur Substruktion der Schräge illustriert möglicherweise einen Vorschlag des Landgrafen zur besseren Sicherung der Anlage an dieser Stelle. Die am unteren Rand querverlaufende tabellarische Kostenaufstellung (u.a. „Bier“, „Wein“) bezieht sich ebenso wie die Liste in 2° Ms. Hass. 107 [214] recto, oben auf Unterhaltskosten des fürstlichen Hofes, die wie die unter der Zeichnung noch teilweise lesbare Adressierung in einen anderen Zusammenhang gehören.

 

2° Ms. Hass. 107 [213] verso, rechts

Südöstlicher Vorhof von Osten

Die auf der rechten Blatthälfte angelegte Vogelschauansicht präsentiert den Hüttenhof am „Kloster Kaufung[en]“ noch einmal von Osten, wobei hier die in der linken Darstellung separat wiedergegebene Kirche nicht dargestellt wird. Der Blick konzentriert sich vielmehr auf die Abfolge der Wohn- und Wirtschaftsgebäude bis hin zum „Brau hauß“ in der ehemaligen Georgskapelle. "Anthonii Beker hauß", ein zweigeschossiger Fachwerkbau über massivem Erdgeschoss,  wird durch einen zentralen Zwerchgiebel an Vorder- und Rückfront deutlich hervorgehoben und auch in der Größe deutlich von den anderen Gebäuden abgesetzt. Das "Neben wohn hauß" wird in den anderen Zeichnungen übereinstimmend als Wohnhaus von Elias Becker bezeichnet. Besonderes Augenmerk legt Landgraf Moritz auf die „Terrace“ im Vordergrund, die ähnlich wie in der linken Darstellung mit einer Mauer gestützt und mit einem Geländer versehen ist. Hier sah der Fürst wohl Handlungsbedarf zur Sicherung der Anlage.

 


[294] vgl. Broedner 1997

[295] Merian 1646, S. 97

[296] vgl. Wroz 1985

[297] in: HStAM Best. 22a 11 Kaufungen/Wetter Pak. 7, für den freundl. Hinweis auf diese Akte danke ich Herrn Dr. D. Wunder

[298] vgl. Hanschke 2011

[299] siehe dazu die Akten im HStAM Best. 304 A 1 Rechnungen