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25.08.2022 | Film- und Serienkritik

Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush: Einmal Guantanamo Bay und zurück

von Felix Thielemann

(2022, Polit-Drama/Komödie - Regie: Andres Dresen - Drehbuch: Laila Stieler - Deutschland/ Frankreich)  

Mit zehn Nominierungen für den Deutschen Filmpreis 2022 und zwei Silbernen Bären bei der diesjährigen Berlinale ist das Comedy-Drama Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush von Andreas Dresen schon jetzt einer der meist gefeierten deutschen Filme des Jahres 2022. Doch hat sich der Film, der die Geschichte des zu Unrecht in Guantanamo Bay inhaftierten Murat Kurnaz aus einer anderen Perspektive erzählen will, diese Lorbeeren überhaupt verdient und kann er etwas Neues zu einer bereits mehrfach erzählten Geschichte beitragen?

Im Jahr 2001, kurz nach den Anschlägen vom 11. September in New York, wird der 19-jährige Murat Kurnaz auf einer Koranreise in Pakistan willkürlich verhaftet und anschließend, nun als islamistischer Terrorist gebrandmarkt, vom US-Militär nach Guantanamo Bay verlegt. Einziger Grund dafür? Der von den USA ausgerufene War on terror und der damit folgende militärische Einmarsch in mehreren nahöstlichen Ländern sowie die Diskriminierung, Verhaftung und Folter von allen, die in den Augen der USA eine wohlmögliche Gefahr darstellen könnten. Murat passt als junger, muslimischer Mann mit Bart genau in dieses rassistische Raster und ist folglich einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Dazu kommt, dass es sich bei Guantanamo Bay, dem Ort an dem er unrechtmäßig gefangen gehalten wird, um eine sogenannte Black Site handelt, also ein amerikanisches, offiziell überhaupt nichtexistierendes Gefängnis auf dem Gebiet eines anderen Staates. Das bedeutet, dass dort weder die von den USA anerkannten Menschenrechte gelten noch die des eigentlichen Landes, in dem sich die Black Site befindet. Auf diese Weise ist es den USA möglich, Kurnaz fast fünf Jahre dort inhaftiert zu lassen, ohne ihn jemals offiziell anzuklagen, Beweise für seine Schuld vorzulegen oder ihm tatsächlich die Chance auf eine faire, gerichtliche Verhandlung zu geben. Erst 2006 kann er schließlich nach Deutschland zurückkehren und verarbeitet seine Erlebnisse kurz darauf in einem Buch, welches bereits 2013 in 5 Jahre Leben verfilmt wird.

Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush erzählt seine Geschichte nun aus einer anderen Perspektive. Denn anstatt die Geschehnisse erneut aus der Sicht Murats darzustellen, entschied sich Regisseur Andreas Dresen ganz bewusst dafür, die von Murats Mutter Rabiye (Meltem Kaptan) sowie ihrem Anwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer) zu zeigen, die zusammen einen immensen und wahrscheinlich entscheidenden Anteil an der Freilassung Murats hatten. Der Film begleitet die beiden dabei fast über die gesamte Zeit der Inhaftierung Murats. Von seiner Festnahme, über die vielen rechtlichen Versuche seiner Befreiung bis hin zur titelgebenden Klage gegen den Präsidenten der Vereinigten Staaten sowie die letztendliche Freilassung Murats.

Dazu wählt Dresen eine Atmosphäre für den Film, welche oftmals eher an eine Komödie erinnert. Die sehr ernsten Momente der Geschichte werden immer wieder mit Humor und Witzen kontrastiert. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Figur der Rabiye, wobei der sogenannte „Fish out of water“-Humor hier besonders viel Anwendung findet. Das bedeutet: Der Humor basiert größtenteils auf dem Fakt, dass Rabiye als in Deutschland lebende türkische Hausfrau und Mutter ohne große Kenntnisse der englischen Sprache scheinbar völlig fehl am Platz ist, wenn sie z.B. mit ihrem Anwalt und den Eltern anderer Opfer vor den Supreme Court in Washington D.C. zieht (wie ein Fisch, der nicht im Wasser ist) und sich dort mit der amerikanischen Presse und Kultur konfrontiert sieht. So macht sie dann beispielsweise einem (fiktiven) Hollywood-Star, welcher in der Handlung des Films die Bemühungen um die Freilassung Murats sowie anderer unschuldig Festgenommener finanziert, vehement darauf aufmerksam, dass die Zimmerpflanze, in der Suite, in der sie ihn trifft, dabei ist einzugehen und dass er sie doch dringend mal wieder gießen solle. Das ein oder andere Mal funktionieren diese Witze dann zwar, auf Dauer schaden sie der Narrative jedoch stark. Zum einen verträgt sich der lockere und harmlose Humor oft kaum mit der unglaublich ernsten und besorgniserregenden Geschichte, sodass ich mir bei diesem tonalen Wechselbad im Kino immer mal wieder an den Kopf fassen musste, zum anderen verharmlost es auch auf eine Weise die Erlebnisse der echten Rabiye. Denn Film-Rabiye bleibt im Verlauf des Films, welcher immerhin die vollständige Zeit der Inhaftierung umfasst, bis auf sehr wenige Ausnahmen relativ unverändert und größtenteils optimistisch und entschlossen. Umso emotionaler könnten da die wenigen Momente sein, in denen sie dann doch mal von der Größe und Hoffnungslosigkeit der Situation überwältigt scheint. Doch diese werden schon im nächsten Moment teilweise wieder durch platte und simple Witze ersetzt, und können so kaum Wirkung entfalten. Dabei mögen der Humor und der Ton des Films sicherlich ganz bewusst so von Andreas Dresen eingesetzt worden sein, was aber nichts daran ändert, dass er hier schlicht fehl am Platz wirkt.

Was bleibt ist eine Geschichte, die grundsätzlich sehr interessante Züge aufweist und immer wieder starke Parallelen zu Ereignissen der Gegenwart herstellt. So werden mehrere deutsche Politiker:innen thematisiert, welche damals die Befreiung Murats aktiv verhindert und die Bemühungen von Rabiye Kurnaz und Bernhard Docke behindert haben, und heute immer noch in hohen politischen Ämtern angesiedelt sind, wie z.B. Frank-Walter Steinmeier. Auch die Zustände der deutschen Bürokratie – deren Strukturen sich immer wieder Vorwürfen von Rassismus ausgesetzt sehen – sowie der amerikanischen Außenpolitik weisen immer wieder starke und vor allem diskussionswürdige Parallelen zur Gegenwart auf. Insofern kann der Film durchaus noch etwas zur bereits mehrfach erzählten Geschichte von Murat Kurnaz beitragen, indem er jüngeren Generationen Zugang und neue Blickwinkel zu einer Reihe von Vorfällen verschafft, die aufgrund ihrer Thematik (rassistische Diskriminierung und Verfolgung durch staatliche Behörden und Militär/Polizei) auch heute noch unglaublich relevant und präsent im öffentlichen Diskurs sind. Die Umsetzung als Komödie wirkt aber – trotz einiger weniger gelungener Gags – leider zu keinem Zeitpunkt wirklich souverän und trägt nur wenig Positives zur Handlung und den Figuren bei. Das Ganze wirkt oft völlig unpassend und in jeglicher Form Fehl am Platz, ganz wie ein Fisch, der nicht im Wasser schwimmt.