dieS-Sommerschule 2015

Prof. Dr. Andreas Gold (Universität Frakfurt/M.)

Strategisches und selbstreguliertes Lesen.
Von konstruktiven Leser-Text-Interaktionen zu mentalen Repräsentationen

Aus der Sicht der Kognitiven Psychologie, die sich anfänglich vor allem mit dem Informationslesen aus Sachtexten beschäftigt hat, entspricht das Verstehen eines Textes einer kohärenten mentalen Repräsentation des Gelesenen, die text- und vorwissensgetrieben gebildet, sowie von subjektiven Leseabsichten und -erwartungen beeinflusst wird. Durch Prozesse lokaler und globaler Kohärenzbildung wird auf diese Weise Bedeutung konstruiert (Kintsch 1998). Dass man durch den Einsatz bzw. durch die Förderung kognitiver Lesestrategien und durch Strategien der Selbstregulation das Textverstehen und damit die Lesekompetenz verbessern kann, ist verschiedentlich gezeigt worden. Philipp und Schilcher (2012) geben einen Überblick deutschsprachiger Förderansätze. Den meisten schulischen Förderprogrammen ist gemeinsam, dass kognitive und metakognitive Strategien explizit modelliert, vermittelt und eingeübt werden – gelegentlich wird zusätzlich die Lesemotivation adressiert. Aus Sicht der Wirksamkeitsprüfungen interessierten vor allem die mentalen Repräsentationen, die bei der auf ein Trainingsprogramm folgenden Textrezeption auf den unterschiedlichen Ebenen gebildet werden. Wie hat der Einsatz von Lesestrategien die kognitive Repräsentation eines Textinhalts beeinflusst? Wurden die Texte nun ‚besser’ verstanden und behalten?

Weniger im Blick waren die Vielfalt und der spezifische Charakter der konstruktivistischen Anteile, den einen Leseprozess auszeichnen. Zwar bildeten die konstruktiven Verknüpfungsaktivitäten zwischen dem individuellen Vorwissen und den elaborierten Lesestrategien einen substanziellen Bezugspunkt bei der Beschreibung und Dimensionierung der Lesestrategien. Der Textinhalt sowie das textbezogene Vorwissen eines Lesers waren mithin profilierte Elemente des Forschungs- und Trainingskonzepts. Aber die Referenzkategorien blieben der jeweils zu lesende Text und das im Anschluss an den Leseprozess beim Textleser festgestellte Textverständnis. Weniger im Blick waren Anschlussaktivitäten, die aus einer Lektüre resultieren können: Wenn ein Text etwa aus einem bestimmten Interesse heraus gelesen wird – beispielsweise in der Absicht, nachfolgend einen eigenen Text zu verfassen. In Frage steht mithin, inwieweit das Modell einer konstruktiven Text-Leser-Interaktion einer Erweiterung bedarf, die auch Möglichkeiten einer späteren Textnutzung mit einschließt. Kaum ein (Sach-)Text wird gelesen, nur um ihn zu verstehen. Meist will man etwas damit anfangen.

Mit den Textdetektiven (Gold et al. 2004) ist vor mehr als zehn Jahren erstmals ein nachweislich wirksames strategieorientiertes Förderprogramm etabliert worden, andere Förderprogramme vergleichbarer Art folgten. In einer Reihe von Studien sind solche Förderprogramme mittlerweile positiv evaluiert worden. Inzwischen sind die Textdetektive alt geworden. Im Vortrag wird eine Erfahrungsbilanz gezogen und es werden weitergehende Perspektiven strategieorientierter Leseförderung aufgezeigt. Lesen und Textverstehen wird dabei zusätzlich in einen Verwertungszusammenhang eingebettet: Texte lesen und verstehen, um davon sprechen und darüber schreiben zu können.