Waljagd auf den Färöer-Inseln – Schlachterei oder Kulturtechnik?
Bild: Tobias PlieningerBlutrot färbt sich das Wasser, wenn auf den Färöer-Inseln Grindwale gejagt werden, Männer in Gummistiefeln zerlegen die Meeressäuger am Hafenbecken: Bilder wie diese gehen regelmäßig um die Welt und sorgen oft für Empörung. Doch die Jagd auf dem abgelegenen Archipel im Nordatlantik ist Teil einer jahrhundertealten Kultur, Ausdruck kollektiver Identität – und ein Forschungsgegenstand. Dr. Tobias Plieninger, Professor für sozial-ökologische Interaktionen an der Universität Kassel, hat mit einem internationalen Team untersucht, welche Werte, Regeln und Wissensformen die Jagd auf den Färöer- Inseln heute prägen. Im Interview spricht er darüber, was wir aus dieser Forschung über die Beziehungen zwischen Mensch und Natur lernen können – und ob man der Waljagd etwas Gutes abgewinnen kann.
publik: Was hat Sie dazu bewogen, sich mit der Jagd auf den Färöer-Inseln auseinanderzusetzen?
Tobias Plieninger: Mich interessiert in meiner Forschung, welche soziokulturellen Faktoren die Landnutzung beeinflussen: Traditionen, Weltbilder, Wertvorstellungen. Gerade im Nachhaltigkeits- und Landnutzungskontext erkennen wir immer deutlicher, wie zentral sie sind. Die färöische Jagdtradition ist in diesem Sinne ein faszinierender Fall: Sie zeigt, wie eng kulturelle Identität, Naturbeziehung und nachhaltige Praxis miteinander verwoben sein können. In Deutschland wird die Beziehung der Menschen zur Natur immer schwächer – sei es in der Landwirtschaft oder im städtischen Alltag. Viele Studien zeigen, dass diese Entkoppelung eine zentrale Ursache für die Biodiversitäts- und auch die Klimakrise ist. Deshalb werden zunehmend Wiederverbindungen zwischen Mensch und Natur gefordert.
publik: Sie sagen „faszinierender Fall“ – wie gehen Sie als Wissenschaftler mit einem Thema wie der Waljagd um? Spielen ethische Fragen eine Rolle?
Plieninger: Ganz neutral kann man bei so einem emotional und normativ aufgeladenen Thema natürlich nie sein, und das muss Wissenschaft auch nicht immer. Es geht vielmehr darum, sich der eigenen Perspektiven bewusst zu sein und offen mit ihnen umzugehen. Ich selbst habe einen forstwissenschaftlichen Hintergrund, mir ist die Jagd also nicht fremd. Ich habe zwar keinen Jagdschein; gleichzeitig bin ich aber Flexitarier und konsumiere bewusst vor allem Wildfleisch – weil ich Jagd als eine der ökologischsten und nachhaltigsten Formen des Fleischkonsums betrachte, wenn sie denn verantwortungsvoll betrieben wird. Unsere Position ist nicht bewertend. Wir wollen verstehen, nicht verurteilen. Was man aber festhalten kann: Die Jagd auf den Färöern ist weit entfernt von industriellen Jagdmodellen, wie wir sie etwa in Japan oder Norwegen sehen. Sie ist gemeinschaftlich organisiert, nicht kommerziell, das Fleisch wird lokal konsumiert. Der gesellschaftliche Zusammenhalt rund um diese Praktiken ist sehr stark. Es gibt viele Punkte, über die man nachdenken kann, nicht nur das Töten der Meeressäuger. Etwa, dass die Grindwale als Spitzenprädatoren viele Schadstoffe anreichern, was ihren Verzehr gesundheitlich problematisch macht. Die färöischen Gesundheitsbehörden warnen davor. Auch der Fang von Eissturmvögeln, die in Deutschland unter strengstem Schutz stehen, wirkt aus mitteleuropäischer Perspektive irritierend. Aber gerade deshalb ist dieser Fall so interessant: Er stellt grundlegende Fragen darüber, wie wir mit kultureller Vielfalt in der Nachhaltigkeit umgehen, wo wir Grenzen ziehen und was wir als „nachhaltig“ definieren.
Bild: Tobias Plieningerpublik: Eine zentrale Erkenntnis Ihrer Studie ist, dass sich die Jagd auf den Färöer-Inseln von einer überlebensnotwendigen Praxis hin zu einer Freizeitbeschäftigung gewandelt hat. Welche Auswirkungen hat dieser Wandel auf die Jäger und die Gesellschaft?
Plieninger: Die Jagd spielt wirtschaftlich kaum mehr eine Rolle, heutzutage ist niemand mehr darauf angewiesen, sich von Walen oder Eissturmvögeln zu ernähren. Dennoch wird sie selten in Frage gestellt. Sie ist Ausdruck von Zugehörigkeit zur Familie, zur Gemeinschaft und zur Insel und eine Quelle der Identität. Die Jagd wird als generationsübergreifendes Erlebnis verstanden, bei dem viele schon als Kinder mitgenommen wurden. Der sportliche, teilweise sogar wettbewerbsorientierte Aspekt spielt ebenfalls eine Rolle. Es ist ein Ritual, das den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt und einen direkten Bezug zur Natur schafft. Trotz aller gesellschaftlichen Modernisierung ist die Bevölkerung auf den Inseln sehr traditionell geprägt, das merkt man auch an religiösen und politischen Überzeugungen. Und die Jagd ist dort eine nahezu rein männliche Angelegenheit. Es war kaum möglich, Jägerinnen zu finden.
publik: Gibt es Gesetze zum Walfang?
Plieninger: Die Jagd ist wenig reguliert. Es wurde erst vor wenigen Jahren das erste Naturschutzgesetz verabschiedet. Es gibt auch keine ausgeprägten informellen Regelwerke. In vielen traditionelleren Gesellschaften haben sich Gemeinschaftsregeln etabliert, die zur Nachhaltigkeit beitragen, etwa Absprachen über Jagdobergrenzen. Auf den Färöer-Inseln haben wir hierzu relativ wenig gefunden. Das könnte daran liegen, dass die Bevölkerung so klein ist und die Ressourcen als so üppig erscheinen.
publik: Gab es bei den befragten Jägern gar keine Selbstkritik?
Plieninger: Es gibt einzelne Jäger, die sich fragen, ob bestimmte Tierarten weiterhin bejagt werden sollten oder ob die heutige Form der Jagd noch zeitgemäß ist. Das sind aber Ausnahmen. Die Kritik kommt von außen, etwa von internationalen Tierschutzorganisationen.
publik: Wie reagieren die Färinger auf diese Kritik?
Plieninger: Meist eher defensiv. Mein Eindruck war: Jetzt erst recht. Die Kritik, gerade von internationalen Tierschutzorganisationen wie Sea Shepard, wird häufig als übergriffig und wenig sensibel wahrgenommen, als Angriff auf Identität und Lebensweise. Diese Organisationen zeigen oft wenig Verständnis für die besondere Situation der Inselbevölkerung, was dann eher zu einer Abgrenzung führt als zu Veränderung.
publik: Aus den Interviews geht hervor, dass gerade bei den Jungen das Interesse an der Jagd schwindet.
Plieninger: Ja, das ist ein klarer Trend. Ich bin heute früh über eine Studie aus Spanien gestolpert, in der mithilfe demografischer Modellierung die Entwicklung der Jägerschaft untersucht wurde. Das Ergebnis war ziemlich eindeutig: ein dramatischer Rückgang und letztlich das Aussterben dieser Praktiken in naher Zukunft. Ähnliches beobachten wir auf den Färöern. Viele junge Menschen tauchen eher in digitale Welten ab als in die Natur. Aber wer weiß? Gleichzeitig gibt es einen Gegentrend, Menschen entdecken alte Praktiken neu – auch im Zuge des wachsenden Interesses an Regionalität, Nachhaltigkeit und Naturerlebnissen. Es ist schwer vorherzusagen, wie sich das langfristig entwickelt.
publik: Ist die Jagd auf den Färöern in 50 Jahren also lebendige Praxis oder nostalgische Erzählung?
Plieninger: Ich bin kein Hellseher. Vieles hat sich dort erstaunlich lange gehalten. Die Schafhaltung ist oft finanziell gar nicht mehr notwendig, doch fast jede Familie hält noch ein paar Schafe, einfach aus Tradition – und das zeigt sich auch in der regionalen Küche. Es gibt faszinierende Methoden, Fleisch haltbar zu machen oder zu fermentieren, die auch im Rahmen des Tourismusbooms und der „New Nordic Cuisine“ neu geschätzt werden. Ich könnte mir vorstellen, dass die Jagd stärker ein Hobby oder ein Lebensstil wird, aber nicht ganz verschwindet.
publik: Inwiefern sind die Ergebnisse Ihrer Studie relevant?
Plieninger: Es geht darum, zu verstehen, welche Rolle Wissen, Praxis und Emotionen in der Mensch-Natur-Beziehung spielen und wie diese Beziehungen aussehen können, wenn sie nicht nur auf Konsum oder Nutzenrechnungen basieren. Was wir also mitnehmen, ist: Nachhaltigkeit bedeutet nicht nur, schädliche Auswirkungen zu minimieren, etwa durch Emissionsminderung. Sondern auch, neue – oder alte – Wege zu finden, wie Menschen mit Natur in Verbindung treten können. Unsere Forschung fragt: Wie kann man Naturwissen fördern? Wie kann man emotionale Bindung zur Umwelt stärken? Und welche kulturellen Formen tragen dazu bei? Das sind keine rein akademischen Fragen, sondern zentrale Herausforderungen einer nachhaltigen Gesellschaft.
publik: Und was nehmen Sie persönlich aus der Forschung mit?
Plieninger: Sie hat mir gezeigt, dass wir mehr zuhören sollten. Unsere westliche Perspektive neigt oft dazu, moralische Bewertungen abzugeben, ohne wirklich zu verstehen, was vor Ort zählt. Die Färöer-Jagd mag blutig und konfliktbehaftet sein, aber sie steht auch für ein gelebtes Verhältnis zur Natur, das uns in gewisser Weise abhandengekommen ist. Vielleicht können wir aus diesen Kontrasten lernen.
Dieser Beitrag erschien im Universitäts-Magazin publik 2025/2. Text: Bastian Puchmüller

