Sommersemester 2020

Die Lehrveranstaltungen im Sommersemester finden online statt. Bitte melden Sie sich, wie gehabt, über Hispos dazu an.

Seminar

Mittwochs, 10-12 Uhr

Der Historiker Reinhart Koselleck schrieb aus Anlass des an ihn 2003 verliehenen Münsteraner Historikerpreises von dem Ende des Pferdezeitalters, das er in der Mitte des 20. Jahrhunderts verortete. Dieses sogenannte "Pferdezeitalter" , das Koselleck weit aufspann, manifestierte sich in gewaltigen Umbrüchen in allen Lebensbereichen. Das Signifikante daran: Es waren allesamt Umbrüche, die es ohne das Pferd gar nicht gegeben hätte. Der weite Raum dieser Geschichte reicht von der Landnahme der Siedler_innen in Amerika bis zur Entstehung unserer modernen Metropolen: Ohne Pferdebusse hätte es keine Pendler_innen gegeben, wären Vorstädte nicht entstanden, wäre die Industrie so nicht möglich gewesen. Doch mit der industriellen Umsetzung, dem Wandel von den realen zu den motorisierten Pferdestärken, so könnte resümiert werden, hat sich das Pferd, das ist seine Tragik, selbst abgeschafft. Das "Nachpferdezeitalter" räumt den Pferden keinen besonderen gesellschaftlichen Platz mehr ein, ihr historischer Wert scheint damit auch in Vergessenheit zu geraten.

In diesem Seminar wollen wir uns daher an die historische Stahlkraft des Pferdes erinnern, wollen den Hufspuren des Pferdes sprichwörtlich wie real nachgehen. Ziel des Seminars wird es sein, die Bedeutung des Pferdes im Prozess der Urbanisierung und Industrialisierung, der Kolonisierung und imperialien Landnahme, der Nationenbildung und der kriegerischen Auseinandersetzungen des 19. und 20. Jahrhunderts herauszuarbeiten. Wir werden dabei sowohl auf der Mikroebene der Stadtgeschichte arbeiten, als auch große Fragen der europäischen Politikgeschichte stellen.

Die Studierenden sollen hierbei lernen, unterschiedliche historische Perspektiven einzunehmen und gegeneinander abzuwägen. Sie sollen auch lernen, sich im Sinne der Tiergeschichte mit der Wirk- und Handlungsmacht von Pferden auseinanderzusetzen und damit der Frage nachzugehen, was es heißt, Geschichte zu dezentrieren und Tiere als historische Akteure zu begreifen.

Literatur zur Vorbereitung:

Ulrich Raulff, Das letzte Jahrhundert der Pferde: Geschichte einer Trennung. C.H. Beck, 2015.

Reinhart Koselleck, "Der Aufbruch in die Moderne oder das Ende des Pferdezeitalters." Historikerpreis der Stadt Münster. Die Preisträger und Laudatoren von 2003 (1981): 159-74.

Seminar

Dienstags 10-12 Uhr

Unter dem Stichwort des Holocaust-Films verbirgt sich ein Genre, welches von dem Versuch, der Geschichte ein mediales Echo zu verleihen bis zu einem halbseidenen Splatter- und Horrorfilmformat reicht, das das Geschehene höchstens noch als Rahmenhandlung aufgreift. Einige Werke, insbesondere die, die Hollywood hervorgebracht hat, haben allerdings auch dazu beigetragen, welches Bild sich vom Leben in den Konzentrations- und Vernichtungslagern, vom Wesen des Antisemitismus und von dem millionenfachen Mord an den europäischen Juden in den Gaskammern von Auschwitz, Treblinka, Sobibor und anderen Orten des nationalsozialistischen Verbrechens gemacht wurde. Dieses Nebeneinander von history und story, Geschichte und Erzählung, beeinflusst die Weitergabe gesellschaftlich relevanten Wissens. Nachfolgende Generationen stehen damit nicht nur dem historiografisch rekonstruierten Geschehen gegenüber, sondern auch der Möglichkeitsform fiktionaler Erzählungen. Und nicht zuletzt angesichts des nahenden Endes der Zeitzeugenschaft schickt sich die mediale Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in verschiedenen Genres an, die Weitergabe unmittelbarer Erfahrung abzulösen. Dies ist die Vermittlung von Geschichte, egal ob nun in der Schule oder an anderen Lern- und Bildungsorten wie gedenkstätten relevant. Eine Auseinandersetzung mit dem Problem der Fiktionalisierung, auch angesichts zunehmender Bagatellisierungsversuche deutscher Verbrechen, ist deshalb eine wichtige Kompetenz für Historiker_innen.

 Ziel des Seminars ist es, gemeinsam zu erarbeiten, was (halb)fiktionale Narrationen für die kollektive Erinnerung leisten können. Wir werden uns mit der Frage beschäftigen, welche Vorteile eine Fiktionalisierung bieten könnte und wo die Grenzen des Erzähl- und Darstellbaren liegen. Grundlage unserer Diskussionen werden die gemeinsame Rezeption von Spielfilmen zum Holocaust der vergangenen 40 Jahre sein. Diese sollen auch unter der Linse der Medien- und Filmgeschichte als auch der erinnerungspolitischen Leistung analysiert werden.

Die Studierenden sollen dabei lernen, den jeweiligen Wert von Spielfilmen für die Vermittlung der Geschichte des Holocaust einzuschätzen, Probleme und Leerstellen zu identifizieren und dann jeweils für die weitere Arbeit fruchtbar zu machen, zum Beispiel Anregungen für erweiterte Quellenrecherchen etc. zu liefern.

 Literatur zur Vorbereitung:

Peter Reichel, Erfundene Erfindung. Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater, München-Wien, 2004.

Waltraud Wende, Medienbilder und Geschichte - zur Medialisierung des Holocaust. JB Metzler, 2002.