Wintersemester 2021/22

Ge­schlecht, "Krank­heit" und Na­tio­nal­so­zia­lis­mus: "Eu­tha­na­sie" in der Tö­tungs­an­stalt Ha­d­a­mar

Die systematische Verfolgung und Ermordung von kranken, behinderten oder sozial stigmatisierten Menschen im Rahmen der 1939 begonnen sogenannten T4-Aktion legte den Grundstein für weitere systematische Massenermordungen während des Nationalsozialismus. Mit diesen Aktionen wollte der faschistische Staat diejenigen aussondern, die einerseits nicht der ideologischen Vorstellungen eines gesunden „Volkskörpers“ entsprachen und anderseits keinen wirtschaftlichen Beitrag zur „Volksgemeinschaft“ zu leisten schienen. Bei der Debatte um die historische Wiedergutmachung nach dem Krieg zeigte sich wiederum, wie stabil sich bestimmte Vorstellungen von Krankheit zeigten. Dies betraf auch die Vorstellungen besonderer geschlechtertypologisiernder Kategorien.

In dieser Veranstaltung wird deshalb der Fokus auf Aspekten der Patient*innengeschichte, insbesondere während des Nationalsozialismus liegen, wobei wir den Blick jedoch ausdrücklich für Kontinuitäten in der Nachkriegszeit öffnen möchten. Aus einer soziologischen und geschichtswissenschaftlichen Perspektive wird erarbeitet, wie spezifische Verschränkungen von Typologisierungen der Abweichung/Pathologisierung mit Geschlechterkonstruktionen ihre Wirkmacht als legitimatorische Wissensfiguren der Diagnostik und Verwaltung entfalteten und wie hierrüber auch bestimmte Opfer- und Täter*innenprofile erzeugt und verfestigt wurden. Neben grundlegenden theoretischen und methodologischen Texten werden auch Patient*innenakten untersucht. Dabei soll erörtert werden, wie schwierig die Rekonstruktion der komplexen Biographien der Opfer anhand dieser Quellen ist und welche methodischen Ansätze Soziologie und Geschichtswissenschaften, von quantitativen Auswertungen von Krankengeschichten hin zu kollektiven Biographien, dafür bereithalten. Dafür werden wir auch mit der Gedenkstätte in Hadamar, wo zwischen 1940 und 1944 rund 15.000 Menschen ermordet wurden, zusammenarbeiten.

Das Seminar möchte sich aber nicht auf die historische Rekonstruktion der Topoi von Rassenhygiene und „Aufartung“ beschränken, die insbesondere mit der Euthanasie-Aktion T4 verbunden sind, sondern grundsätzliche Fragen der sozialen Differenzierungen durch „Krankheit“ nachgehen und wie diese in „totalen Institutionen“ produziert werden.

 

Ras­sen­an­thro­po­lo­gie und Tier­zucht: Ver­schrän­kun­gen und Ab­lei­tun­gen um die Jahr­hun­dert­wen­de 19./20. Jh.

 

In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts fand, angestoßen u.a. durch die Darwin‘sche Evolutionsbiologie, eine Biologisierung der Ethnologie statt, wodurch der Begriff der Rasse, ein Begriff der bereits während der ersten europäischen Kolonialisation in die Sprache eingeführt worden war, verstärkt als biologische Kategorie wahrgenommen wurde. Als neue Quelle für Kenntnisse fremder „Rassen“ kamen im 19. Jahrhundert Berichte von Forschungsreisen hinzu, an denen Zoologen, Anthropologen und Naturkundler:innen teilnahmen. Doch auch in Europa selbst fing man an, nach „rassischen“ Unterarten zu suchen und Menschen zu vermessen. Otto Ammon, etwa, legte 1893 mit seiner Anthropologie der Badener die erste anthropologische Studie eines größeren Raums vor, aus der auch eine rassische Charakterologie abgeleitet wurde. Sogenannte Rassekreistheorien, die die Menschheit in drei oder vier „Großrassen“ wie Europide, Mongolide, Australide und Negride sowie eine Vielzahl von „Unterrassen“ untergliederten, sollten einerseits „Ordnung“ in die von drastischen gesellschaftlichen Umbrüchen geprägte zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts bringen, anderseits die neuen gesellschaftlichen Brüche, die durch Imperialismus und Industrialisierung aufkamen, (pseudo-)wissenschaftlich begründen. Ein weiteres Motiv der Rassenanthropologie war die Eugenik als Idee, die Entwicklung von Rassen künstlich zu steuern. Bezogen wurde sich dabei häufig auch auf Erkenntnisse der ebenfalls sich im 19. Jahrhundert professionalisierenden Tierzucht.

Das Seminar verbindet Wissenschaftsgeschichte, Tiergeschichte und die Geschichte des Rassismus und fragt nach den jeweiligen Potentialen, die unterschiedliche historische Betrachtungsweisen auf den Erkenntnisgegenstand bringen. Ziel ist es, einen Einblick in die Geschichte von Tierzucht und Rassenanthropologie um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert zu vermitteln und die wichtigsten Vertreter der Fächer und ihre Auswirkungen auf züchterische und eugenische Diskurse kennenzulernen. In diesem Seminar werden wir deshalb erkunden, wie Tierzucht und Rassenanthropologie voneinander abhängig diskutiert wurden, wo es Überschneidungen gab und wie sie jeweils auch im politischen Diskurs des Kaiserreiches (und darüber hinaus) wahrgenommen wurden. Dafür werden wir vertiefte Quellenlesungen vornehmen.

 

Ein­füh­rung in die Tier­ge­schich­te und die Hu­man-Ani­mal Stu­dies

2017 fragte die englische Frühneuzeithistorikerin Erica Fudge, wie es wohl sei, eine Kuh zu sein bzw. welcher Fertigkeiten und Fähigkeiten es eigentlich bedürfe, die Geschichte von Kühen zu schreiben. Sie griff damit eine Frage auf, die der amerikanische Philosoph Thomas Nagel bereits Mitte der 1970er in Bezug auf Fledermäuse gestellt hatte. Neu an Fudges Vorgehen war jedoch, dass sie sich auf Erkenntnisse eines wachsenden Feldes von Forscher*innen berufen konnte, die die Frage nach der Tierperspektive in Tier-Mensch-Beziehungen seither kritisch, produktiv und interdisziplinär angegangen sind. Dieses Feld, die sogenannten Human-Animal Studies, versucht dabei unter anderem die Repräsentation von Tieren in Kunst, Medien und Literatur sowie die Frage nach der kulturell-symbolischen Bedeutung von Tieren zu erforschen. Die Rolle von Tieren und Tierbildern in Denksystemen und der Ideengeschichte westlicher Gesellschaften, Interaktionen zwischen Menschen und Tieren sowie Untersuchungen der tierbezogenen Praktiken bzw. der Behandlung von Tieren in verschiedenen gesellschaftlichen Feldern wie u.a. Wissenschaft, Ökonomie, Landwirtschaft stellen weitere Themen dar, die in den Human-Animal Studies behandelt werden. Dieses Seminar ist eine Einführung in die historischen Human-Animal Studies, die mit Fokus auf die historische Dimension der Wirkmächtigkeit von Tieren auch einfach >Tiergeschichte< genannt wird. Entsprechend wollen wir uns mit den neuen Konzeptionen von Tiergeschichte beschäftigen und debattieren, wie sich der >Animal Turn< in der Geschichtswissenschaft niedergeschlagen hat.

Themen, die in diesem Seminar diskutiert werden sollen, reichen von theoretischen konzeptionen tier-menschlicher Annäherungen bis zu methodisch-handwerklichen Umsetzungen des Forschungsprogrammes der Human-Animal-Studies. Wir fragen: Sind Tiere (historische) Akteure und wie können wir das adäquat wiedergeben ? Oder sind sie doch bloß Repräsentationsfiguren außerhalb menschlicher Historiographie und ihren Zugriffen ? Anhand von empirischen Arbeiten zur Haus- und Nutztierhaltung  und der Geschichte der Zoos werden wir zu eruieren versuchen, wie die Tiergeschichte mit diesen Fragen umgeht.

Ziel des Seminars ist es, grundlegende Aspekte der Human-Animal Studies und der Tiergeschichte zu rekapitulieren und anwenden zu können. Die Teilnehmer*innen sollen darüber hinaus in die Lage versetzt werden, die Relevanz theoretischer Konzepte für die Geschichtsschreibung zu erkennen.

 

Ein­füh­rung in "Mas­ter Ge­schich­te und Öf­fent­lich­keit"

Das Einführungsmodul in den Master „Geschichte und Öffentlichkeit“ soll den Studierenden einen ersten Überblick über die inhaltliche Auseinandersetzung mit Themen der Public History bzw. der Geschichte in der Öffentlichkeit liefern. Public History bedeutet zunächst die Darstellung und Vermittlung von Geschichte in, für und durch die Öffentlichkeit. Für Historiker*innen, die in diesem Bereich tätig sind, bedeutet es aber auch diese Geschichte inhaltlich und medial mitzugestalten und zugleich deren kognitive, politische, ästhetische und ökonomische Dimensionen zu erforschen. Das Seminar thematisiert hier die zentralen Zusammenhänge von wissenschaftlicher Erkenntnis und öffentlichkeitsorientierter Vermittlung. Es vermittelt methodische und theoretische Zugänge der Geschichtswissenschaft und erfasst die Bedeutung der praxisrelevanten Anwendung, zum Beispiel für die Erinnerungspolitik.

Das Seminar ist zweiteilig aufgebaut: Zu einem erhalten die Studierenden einen Überblick darüber, wie Geschichte und Öffentlichkeit epochenabhängig verhandelt wird. Hierzu liefern die Fachgebiete Alte Geschichte, Mittelalterliche Geschichte, Geschichte der Frühen Neuzeit, Neuere und Neueste Geschichte und Didaktik der Geschichte in 5 Sitzungen jeweils kurze Inputvorträge und diskutieren mit den Studierenden die Wichtigkeit des Ansatzes von Geschichte und Öffentlichkeit für die Vermittlung der Geschichte der jeweiligen Epoche.

Gemeinsam soll im Seminar dann, aufbauend auf diesen allgemeinen Erkenntnissen, die Rolle sozialer Medien für die Vermittlung von Geschichte diskutiert bzw. der Stand sog. digitaler Geschichtsschreibung reflektiert werden. Zu diesem Zweck werden wir gemeinsam einen digitalen Workshop vorbereiten, zu dem auch ausgewiesene Expert:innen bzw. Anwender:innen eingeladen werden sollen.

 

For­schun­gen und Zu­gän­ge der So­zi­al- und Kul­tur­ge­schich­te - Be­gleit­semi­nar zur BA- und MA Ar­beit so­wie zur wis­sen­schaft­li­chen Haus­ar­beit für das Lehr­amt

Die Veranstaltung wendet sich an Studierende, die im Arbeitsbereich der Sozial- und Kulturgeschichte, insbesondere auch der Tiergeschichte, eine Abschlussarbeit - BA, MA oder Staatsexamen - schreiben oder vorhaben dies zu tun. Sie bietet denjenigen, die bereits an ihrer Arbeit sitzen, die Möglichkeit Schwierigkeiten zu besprechen und Fragen zu klären und denjenigen, die noch auf der Suche nach einem Thema sind, Hilfe bei Themenfindung und dabei, das Thema richtig zuzuschneiden und eine Fragestellung zu entwickeln. Zudem soll die Veranstaltung alle Teilnehmer*innen dabei unterstützen, ihre Arbeiten in aktuelle Forschungskontexte einzubinden. Dazu haben Sie die Möglichkeit auch gemeinsam zentrale, themenrelevante Sekundärliteratur zu diskutieren.

Wir werden uns im Seminar also sowohl mit technisch-methodischen Fragen des wissenschaftlichen Schreibens als auch Perspektiven und Fragestellungen diskutieren, die für das Fach relevant sind.