Lehrveranstaltungen im Sommersemester 2023

Das Anthropozän, also das Zeitalter der Menschheit, ist ein Begriff, der die aktuelle geologische Ära beschreibt, die durch den menschlichen Einfluss auf die Erde gekennzeichnet ist. Es beginnt, der Definition des niederländischen Physikers Paul Crutzen nach, etwa im 18. Jahrhundert mit der Industrialisierung und dem Anstieg der menschlichen Bevölkerung. Als Folgen dieses Einflusses werden unter anderem Klimaveränderungen, der Verlust an biologischer Vielfalt, Bodenerosion und der Anstieg von Schadstoffen im Boden, Wasser und in der Luft ausgemacht.  Ferner wird ein Massensterben der Arten attestiert, das dem Anthropozän auch einen weiteren Namen einbrachte, es sei das „Age of Extinction“. Was bedeutet aber die Ausrufung dieses neuen Zeitalters für Historiker:innen? Wie stellt sich das Anthropozän zu unserer geläufigeren Epochenunterteilungen?

In diesem Seminar werden wir Antworten auf diese Fragen aus umwelt- und tiergeschichtlicher Perspektive beleuchten. Beide Disziplinen beschäftigen sich interdisziplinär mit den Wechselbeziehungen zwischen Menschen und ihrer Umwelt. Sie untersuchen die Veränderungen der (animalen) Natur im Laufe der Geschichte und wie diese Veränderungen den Menschen und ihre Kulturen beeinflusst haben. Während die Tiergeschichte jedoch stark individualisiert und relational verankert auf interspezifische Verhältnisse blickt, ist für die Umweltgeschichte ein Blick auf größere Ökosysteme und Ökologien relevant.

Ziel des Seminars ist es, ein Verständnis für die gegenwärtige Diskussion innerhalb des Faches um das Anthropozän und seiner verschiedenen Definitionen von Temporalität zu bekommen, es für eine historische Analyse nutzbar zu machen bzw. es als in sich selbst schon historisch zu begreifen und Fragen nach den Tieren und Umwelt als auch von geschichtswissenschaftlichem Interesse zu verstehen. Dafür werden Einblicke in die unterschiedlichen Forschungsmethoden und Perspektiven gezeigt, die Tier- und Umweltgeschichte bestimmen. Studierende sollen sich mit diesem theoretischen Rüstzeug im Gepäck Gedanken dazu machen, was es heißt, Geschichte im Anthropozän zu schreiben. 

2017 fragte die englische Frühneuzeithistorikerin Erica Fudge, wie es wohl sei, eine Kuh zu sein bzw. welcher Fertigkeiten und Fähigkeiten es eigentlich bedürfe, die Geschichte von Kühen zu schreiben. Sie griff damit eine Frage auf, die der amerikanische Philosoph Thomas Nagel bereits Mitte der 1970er in Bezug auf Fledermäuse gestellt hatte. Neu an Fudges Vorgehen war jedoch, dass sie sich auf Erkenntnisse eines wachsenden Feldes von Forscher*innen berufen konnte, die die Frage nach der Tierperspektive in Tier-Mensch-Beziehungen seither kritisch, produktiv und interdisziplinär angegangen sind. Dieses Feld, die sogenannten Human-Animal Studies, versucht dabei unter anderem die Repräsentation von Tieren in Kunst, Medien und Literatur sowie die Frage nach der kulturell-symbolischen Bedeutung von Tieren zu erforschen. Die Rolle von Tieren und Tierbildern in Denksystemen und der Ideengeschichte westlicher Gesellschaften, Interaktionen zwischen Menschen und Tieren sowie Untersuchungen der tierbezogenen Praktiken bzw. der Behandlung von Tieren in verschiedenen gesellschaftlichen Feldern wie u.a. Wissenschaft, Ökonomie, Landwirtschaft stellen weitere Themen dar, die in den Human-Animal Studies behandelt werden. Dieses Seminar ist eine Einführung in die historischen Human-Animal Studies, die mit Fokus auf die historische Dimension der Wirkmächtigkeit von Tieren auch einfach >Tiergeschichte< genannt wird. Entsprechend wollen wir uns mit den neuen Konzeptionen von Tiergeschichte beschäftigen und debattieren, wie sich der >Animal Turn< in der Geschichtswissenschaft niedergeschlagen hat.

Themen, die in diesem Seminar diskutiert werden sollen, reichen von theoretischen konzeptionen tier-menschlicher Annäherungen bis zu methodisch-handwerklichen Umsetzungen des Forschungsprogrammes der Human-Animal-Studies. Wir fragen: Sind Tiere (historische) Akteure und wie können wir das adäquat wiedergeben ? Oder sind sie doch bloß Repräsentationsfiguren außerhalb menschlicher Historiographie und ihren Zugriffen ? Anhand von empirischen Arbeiten zur Haus- und Nutztierhaltung  und der Geschichte der Zoos werden wir zu eruieren versuchen, wie die Tiergeschichte mit diesen Fragen umgeht.

Ziel des Seminars ist es, grundlegende Aspekte der Human-Animal Studies und der Tiergeschichte zu rekapitulieren und anwenden zu können. Die Teilnehmer*innen sollen darüber hinaus in die Lage versetzt werden, die Relevanz theoretischer Konzepte für die Geschichtsschreibung zu erkennen.

Der Nationalsozialismus war deutlich geschlechtsspezifisch organisiert. Das betraf nicht nur Felder beruflichen und öffentlichen Daseins, sondern auch ideologischer Zuschreibungen.  Aber nicht nur der Nationalsozialismus war geschlechtlich codiert, genauso hat die Erinnerungsarbeit bestimmte Tropen verstärkt, zementiert. Ziel des Seminars ist deshalb sowohl das forschende Erarbeiten und die Analyse von geschlechtlichen Konstruktionen von Opfer- und Täter:innenschaft in der nationalsozialistischen Ideologie und Praxis als auch wie an sie erinnert wird. Exemplarisch soll dies anhand des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück gezeigt werden, in dem die vergeschlechtliche Kategorisierung scheinbar sehr klar hervortrat. Begleitet durch die Mitarbeiter:innen der Gedenkstätte Ravensbrück, sollen deshalb nicht nur die Lager (Frauenkonzentrationslager Ravensbrück und Jugendkonzentrationslager Uckermark) selbst besucht werden, sondern auch die Orte, an denen die Forschung zu ihnen stattfindet, wie das Archiv der Gedenkstätte. Ziel ist es hierbei sowohl der Geschichte selbst als auch der Erinnerung an die Geschichte analytisch begegnen zu lernen. 

Das forschende Lernen vor Ort besteht deshalb aus zwei Ebenen. Zum einen soll vertieft werden, wie bestimmte Gruppen (Gefangene, Aufseherinnen, SS-Wächter) vergeschlechtlich wurden und wie wiederum die Behandlung der Gefangenen von ihrer vergeschlechtlichen Position abhing (etwa Unterschiede zwischen Jüdinnen, Widerstandskämpferinnen, sogenannten Asozialen, Prostituierten und Kriminellen, Sintizza und Romnja, Lesben)..Dazu werden auch gezielt Archivalien und Selbstzeugnisse ausgewertet. Zum anderen soll danach gefragt werden, wie sich die vergeschlechtliche Zuordnung heute in der Gedenkstätte darstellt, wie sie aufgegriffen wird bzw. wurde. Die Gegenstände, an denen sie diese Forschungsfrage richtet, können die angebotenen Führungen, die zur Verfügung gestellten Materialien und Filme, Ausstellungen von Objekten in den Gedenkstätten, usw. sein.

Für die Studierenden bietet sich gleich auf mehreren Ebenen die Möglichkeit, Erlerntes auf Praxisfragen im Berufsalltag zu beziehen und hierfür wichtige methodische Kompetenzen zu erwerben. Das Seminar ist neben Studierenden der Geschichte auch für den Masterstudiengang „Diversität - Forschung - Soziale Arbeit“ sowie für das interdisziplinäre „Studienprogramm Frauen- und Geschlechterforschung“ geöffnet. In interdisziplinären Teams sollen vor Ort die verschiedenen Ebenen der konkreten Erinnerungsarbeit kennengelernt (Führungen, Ausstellungen) und forschend erschlossen werden. Dabei soll analysiert werde, wie Erinnerung sich manifestiert und wie Gedenkstättenarbeit funktioniert. Gleichzeitig soll reflektiert werden, inwieweit die Gedenkstätte Ravensbrück selber mit der Kategorisierung von Geschlecht operiert. 

Der Tierfilm ist eine Art von Dokumentarfilm, der sich scheinbar auf das Verhalten und das Leben von Tieren konzentriert. Es kann sowohl Tiere in freier Wildbahn als auch in Gefangenschaft zeigen. Tiere spielten tatsächlich seit Beginn des Filmes um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert eine zentrale Rolle, so bei frühen Safari-Filmen. In diesen Filmen wurden Tiere aber nicht nur porträtiert und charakterisiert: gleichsam vermittelten sie auch Vorstellungen davon, wie menschliche Gesellschaften zu funktionieren hatten. Insbesondere britische Kolonialregime zeigten sich über inszenierte Großkatzenjagden, die auch filmisch arrangiert wurden, als Bezwinger und Beschützer, als Herrscher und vermeintliche Zivilisationsbringer. Auch andere Dokumentarfilme bebilderten so Ideen des Exotischen und des „Anderen“, welches es zu bezwingen gälte. Nach den Weltkriegen entwickelte sich aber auch ein neues Genre. Der Tier- und Naturfilm, der sich für den Erhalt der Umwelt einsetzte, häufig mit nicht weniger kolonialistischem Gestus versehen.

Das Seminar verbindet somit Filmgeschichte, Tiergeschichte und Kolonialgeschichte und fragt nach den jeweiligen Potentialen, die unterschiedliche historische Betrachtungsweisen auf ein Medium, den dokumentarischen Tierfilm, eröffnen.  Zum einen soll im Seminar allgemein die Funktion von Tieren in filmischen Medien aus historischer Perspektive besprochen werden und dabei Analysemittel vermittelt werden, mit denen diese als historische Quellen nutzbar gemacht werden können. Dabei soll ein Zugang gewählt werden der, tiergeschichtlich orientiert, die Wichtigkeit der Präsenz der Tiere für diese Geschichte herausstreicht. Zum andern sollen die Studierenden lernen, selbst kritisch mit dem Medium Film umzugehen; das schließt auch seine materielle Quellenfunktion mit ein.

Die Veranstaltung wendet sich an Studierende, die im Arbeitsbereich der Sozial- und Kulturgeschichte, insbesondere auch der Tiergeschichte, eine Abschlussarbeit - BA, MA oder Staatsexamen - schreiben oder vorhaben dies zu tun. Sie bietet denjenigen, die bereits an ihrer Arbeit sitzen, die Möglichkeit Schwierigkeiten zu besprechen und Fragen zu klären und denjenigen, die noch auf der Suche nach einem Thema sind, Hilfe bei Themenfindung und dabei, das Thema richtig zuzuschneiden und eine Fragestellung zu entwickeln. Zudem soll die Veranstaltung alle Teilnehmer*innen dabei unterstützen, ihre Arbeiten in aktuelle Forschungskontexte einzubinden. Dazu haben Sie die Möglichkeit auch gemeinsam zentrale, themenrelevante Sekundärliteratur zu diskutieren.

Wir werden uns im Seminar also sowohl mit technisch-methodischen Fragen des wissenschaftlichen Schreibens als auch Perspektiven und Fragestellungen diskutieren, die für das Fach relevant sind.