Vortrag: Einflüsse von Governance auf Forschungsinhalte: epistemische Bedingungen, Aggregateffekte und Zeithorizonte
Die Frage, wie Governance Forschungsinhalte beeinflussen kann, wird empirisch in der Regel mit einem Fokus auf unmittelbare Mikro-Effekte neuer Governance-Instrumente und ohne die Berücksichtigung der Spezifik der Fachgebiete untersucht. Das Ziel dieses Vortrages ist die theoretische Abschätzung von Effekten durch die Berücksichtigung makroskopischer epistemischer Bedingungen beeinflussenden epistemischen Bedingungen, möglicher Aggregateffekte und möglicher langfristiger Effekte zu erweitern. Es wird gezeigt, dass die Identifizierung elementarer Mechanismen der Beeinflussung von Forschungsinhalten durch Gläser (2019) in dreierlei Hinsicht unterkomplex ist. Erstens werden zwei wichtige epistemische Operationsbedingungen der Mechanismen nicht berücksichtigt. Die Responsivität individueller Entscheidungen für Governance-Einflüsse hängt auch vom Grad der funktionalen und strategischen Interdependenz der Forschenden in ihren Fachgemeinschaften ab (nicht aber von ihrer methodischen Interdependenz). Zweitens blendet die Betrachtung elementarer Mechanismen Überlagerungseffekte aus. Drittens werden zwei langfristige makroskopische Prozesse ausgeblendet, die zu signifikanten Veränderungen von Forschungsinhalten beitragen können. Diese langfristigen Veränderungen werden über Rekrutierungen und fachgebietsinterne Sozialisationsprozesse vermittelt und erfordern deshalb die aktive (wenn auch nicht immer bewusste) Mitwirkung der Forschenden. Die beunruhigende Schlussfolgerung aus dieser Abschätzung lautet, dass auch schwache Einflussnahmen langfristig signifikante nichtintendierte Nebenwirkungen haben können.
Referent: Professor Dr. Jochen Gläser (Zentrum Technik und Gesellschaft, Technische Universität Berlin)