05.10.2023 | Porträts und Geschichten

„Es ist wichtig, dass die Studierenden mitreden“

KI hält Einzug ins Studium – auch in Kassel. Vizepräsident Matzdorf skizziert den Weg im Interview.

Chatbots mit Künstlicher Intelligenz haben nicht nur die Hochschulen aufgeschreckt – aber hier stellt sich die dringliche Frage, wie das Studium künftig aussehen wird und wie man junge Menschen auf die neue Welt in Beruf und Wissenschaft vorbereitet. Die Universität Kassel hat dazu ein erstes Papier veröffentlicht (Universität Kassel, Künstliche Intelligenz in der Lehre, 10.07.2023). Es stammt aus der Feder von Prof. Dr. René Matzdorf, Experimentalphysiker und Vizepräsident für Studium und Lehre.

 

publik: Herr Professor Matzdorf, erkennen Sie, wenn eine Hausarbeit mit Hilfe von künstlicher Intelligenz geschrieben wurde?

René Matzdorf: In der Physik und überhaupt in den MINT-Fächern ist der Text nicht so wichtig, da zählen Daten und deren Interpretation. Insofern führt diese Frage direkt zu einem wichtigen Punkt: KI wird die Fächer unterschiedlich treffen. Ich kann nicht so gut wie ein Geisteswissenschaftler oder eine Gesellschaftswissenschaftlerin beantworten, was die Entwicklung für ihre Disziplinen bedeutet. Aber ich denke, dass Methoden auf der Basis von KI in allen Wissenschaften Einzug halten werden. Wie die KI dann beim wissenschaftlichen Arbeiten unterstützen kann und was davon Betrug ist und was noch gute wissenschaftliche Praxis, muss die Wissenschafts-Gemeinschaft klären. Die Betrugsmöglichkeiten in Hausarbeiten sind ein offensichtliches Problem.

Bild: Sonja Rode
Vizepräsident Prof. Dr. René Matzdorf

publik: Für die Hochschulleitung haben Sie im vergangenen Juli ein Papier vorgelegt, wie Lehrende und Studierende mit KI umgehen sollen. Deutlich wird darin das Spannungsfeld: einerseits den Umgang mit neuen Techniken zu lernen, sie aber andererseits nicht zu benutzen, um eigene Leistungen vorzutäuschen. Wie kann ein guter Weg aussehen?

Matzdorf: Als Universität müssen wir die Studierenden vorbereiten auf die neue Welt. Das heißt, wir können technische Entwicklungen natürlich nicht ignorieren. Im Gegenteil: Die jungen Menschen müssen lernen, damit umzugehen, aber eben kritisch. Und sie dürfen bestimmte Grundfähigkeiten nicht verlernen. Ein einfaches Beispiel: Wir setzen im Beruf Übersetzungsprogramme ein. Aber wir müssen eben auch noch selber übersetzen können und das gut genug, um den Text des Programms kritisch zu bewerten und zu präzisieren. Auch die Schule funktioniert seit Jahrzehnten so. Die Kinder lernen, im Kopf oder schriftlich zu rechnen, aber kein Erwachsener würde 4728 schriftlich durch 918 dividieren, das geht auf jedem Handy – im Kopf abschätzen zu können ist da schon wichtiger. Andersherum: Warum sollen Programme nicht einfache Texte formulieren? Es wird dennoch weiterhin qualitätsvolle, von Menschen geschriebene Literatur geben. Das eigentliche Problem für die Gesellschaft ist ein anderes.

publik: Nämlich?

Matzdorf: Wie sehr vertrauen wir der KI? KI kann heute schon bösartiges Gewebe auf MRT-Bildern besser erkennen als viele Ärzte. Aber wenn eine KI sagt, das Gewebe ist bösartig, und der Arzt sagt das Gegenteil, wem vertrauen Sie? Die letzte Entscheidung sollte immer der Mensch treffen – unter Einbeziehung guter Vorschläge der KI, die er kritisch bewerten kann. Darauf müssen wir Akademikerinnen und Akademiker vorbereiten. Ein anderes Problem ist, in solchen Expertensystemen können wir nachvollziehen, mit welchen Daten die KI trainiert wurde, an anderen Stellen ist das nicht der Fall und da werden unheimlich viele Manipulationen möglich. Aber das führt jetzt von den Hochschulen weg.

Problemzone Kopf: Wir haben uns zum Thema KI im Studium Bilder von einer KI erstellen lassen. Mit Gesichtern und Händen haben gängige Programme häufig Schwierigkeiten.

„Wir sind keine Insel“

publik: Dann zurück zur Universität. Was heißt die Entwicklung für die Lehre?

Matzdorf: Wie wir damit umgehen, ist nach Fach und Modul verschieden. Es wird Kurse geben, in denen man Grundfertigkeiten lernt, und andere, in denen man den Einsatz der digitalen Tools probt und sich zunutze macht. Wichtig ist, dass alle Dozenten und Dozentinnen sich darüber im Klaren sind, dass sie auf der Höhe der Zeit bleiben müssen.

publik: ChatGTP, das die Diskussion ausgelöst hat, ist im November letzten Jahres veröffentlicht worden. Warum hat das Papier bis Juli gebraucht?

Matzdorf: Wir sind ja keine Insel. Erst im Sommersemester nahm die Diskussion in der deutschen Wissenschaft Fahrt auf und es zeichneten sich wichtige Aspekte ab. Wir haben im Frühjahr ausgiebig mit Fachbereichen diskutiert und viele Vorträge in der bundesweiten Diskussion verfolgt. Als Hochschulleitung ist uns dabei klargeworden, dass es einer zentralen Handreichung bedarf. Mir war wichtig, dass sie noch im Sommersemester veröffentlicht wird. Jetzt sind wir auf eine intensive Diskussion im Wintersemester gespannt.

publik: Was wird das für Prüfungen bedeuten – wird es mehr mündliche Prüfungen geben, wie viele annehmen?

Matzdorf: Nicht unbedingt – aber sicher mehr beaufsichtigte Prüfungen. Der Dozent oder die Dozentin sollte gleich zu Beginn einer Lehrveranstaltung klarstellen, welche Hilfsmittel am Ende in der Prüfung erlaubt sind. Übrigens denke ich, dass die Eigenständigkeits- Erklärungen für studentische Arbeiten viel wichtiger werden. Darüber müssen Studierende in Zukunft Transparenz schaffen, welche Programme in welchem Teil der Arbeit für welchen Zweck benutzt worden sind.

Bild: Uni Kassel mit canva.com
Irgendwas mit Grün: So stellt sich die KI die Universität der Zukunft vor.

„… der verliert irgendwann seine Konkurrenzfähigkeit“

publik:Wie wollen Sie denn sicherstellen, dass die Inhalte des Papiers alle Lehrenden und vor allem auch alle Studierenden erreicht? Wie kommt das in den Kursen an?

Matzdorf: Ich habe es ja eben schon angedeutet: Es ist im Interesse jedes und jeder Lehrenden, im eigenen Fach auf der Höhe zu sein. Und dazu gehört es eben künftig, mit KI umzugehen. Wer das nicht beherrscht, der verliert irgendwann auch seine wissenschaftliche Konkurrenzfähigkeit. Ganz konkret: Vom 6. bis zum 10. November wird es eine Themenwoche „KI in der Lehre“ geben. Wir fordern alle Lehrenden auf, in ihren Kursen mit den Studierenden ins Gespräch zu kommen, was KI konkret für ihre Disziplin bedeutet und wie man damit umgehen will. Es ist wichtig, dass die Studierenden hier mitreden. An den Nachmittagen gibt es ein Veranstaltungsprogramm im Campus Center beziehungsweise in der Kunsthochschule. Darüber hinaus planen wir am 17. November einen „Tag der digitalen Lehre“ mit entsprechendem Programm. Welches Fortbildungsangebot es darüber hinaus für Dozentinnen und Dozenten einerseits und für Studierende andererseits geben wird, etwa als Teil der Schlüsselqualifikationen, werden wir klären.

publik: Wir haben viel über Herausforderungen geredet. Welche Chancen sehen Sie für die Lehre?

Matzdorf: Eine ganze Reihe. Zum Beispiel ermöglicht KI eine automatisierte Rückmeldung für Studierende beim eigenständigen Lernen. Auch Übungsaufgaben sind leichter zu individualisieren. Sie werden sich sogar komplette Übungspläne erstellen und diese von Programmen kontrollieren lassen können.

 

Mehr zur Woche der KI: www.uni-kassel.de/go/ki-themenwoche

 

Dieser Beitrag erschien im Universitäts-Magazin publik 2023/3. Das Interview führten Lisa-Maxine Klein und Sebastian Mense.