18.01.2024 | Berichte aus den Bereichen

Dreifache Antrittsvorlesung und Workshop am Kassel Institute

Im Rahmen der Antrittsvorlesungen von Andreas Braun, Kristina Dietz und Andreas Fischer-Lescano fand vom 12.-13.01.2024 ein Workshop zu Fragen der sozial-ökologischen Transformation an der Universität Kassel statt.

Bild: Andreas Berthel
Andreas Fischer-Lescano (v.l.), Kristina Dietz und Andreas Braun.

Ganz im Sinne der interdisziplinären Suche nach Lösungen für die Auswirkungen der Klimakrise, das Erstarken rechter Bewegungen und grundsätzliche Widerstände gegen den Wandel in eine verantwortungsvollere Zukunft kamen etwa 80 Teilnehmende (deutsch-/englisch-/spanischsprachig) in Kassel zusammen.

In seiner Begrüßungsrede zum Workshop wies Andreas Fischer-Lescano darauf hin, dass der Begriff der Transformation inzwischen ähnlich dem Nachhaltigkeitsbegriff missbrauchsanfällig geworden sei. Denn nicht selten würden Transformation und Nachhaltigkeit für reaktionäre Interessen zweckentfremdet. Man müsse sich an die ursprüngliche Wortbedeutung von „Sustainability“ erinnern, nämlich das lateinische sustinere im Sinne eines Aufrechthaltens, Aushaltens, Widerstand-Leistens gegen ausbeuterische Verhältnisse. In diesem Sinne stelle die Veranstaltung auch eine Gegenbewegung dar, die den Widerständen der sozial-ökologischen Transformation bewusst entgegentreten wolle.

Auch inhaltlich stand die Veranstaltung im Zeichen der geistigen Auseinandersetzungen mit ökologischen, ökonomischen, sozialen Herausforderungen. Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlichster Disziplinen und Werdegänge hatten Gelegenheit, ihre Forschungsergebnisse und -ideen vorzustellen und sich zu vernetzen.

Die Themensessions gliederten sich in sechs Cluster, die die inhaltliche Ausdehnung der Nachhaltigkeitsforschung zu mittelgroßen Päckchen zusammenzurrten. Dabei besprachen die Vortragenden bspw. gegenwärtige Rohstoffkonflikte, wie sie der Abbau von Lithium oder Phosphatgestein zutage fördert, erörterten aber auch Mensch-Umwelt-Beziehungen und damit die Lage derjenigen, die meist als Erste von Transformationskonflikten lokal und sozial betroffen sind. Dabei trat der vermeintliche Widerspruch solcher Situationen besonders deutlich hervor: Während Protest gegen ökologische Neuregelungen gern als unbelehrbar unreflektiert wahrgenommen wird, spiegelt dieser nicht selten auch die Nöte der direkt Betroffenen wider.

Das Nebeneinander progressiver und hindernder Anteile ist in den meisten Nachhaltigkeitsbemühungen enthalten, denn sie streben auf ein Ziel fernab der Gegenwart hin. Die Umformung soll zwar schnell und konsequent sein, darf aber auch nicht anti-demokratisch, anti-sozial, anti-pluralistisch verfahren. Dementsprechend braucht es viele Versuche in vielen Forschungsfeldern, deren Gemeinsamkeiten und Aufgaben der Workshop einzufangen suchte.

Der Drahtseilakt zwischen Gegenwart und Zielvorstellung wurde auch in den juristischen Bearbeitungen deutlich. Diese setzten sich mit den Widerständen innerhalb transnationaler Lieferketten und ihrer Regulierung auseinander, analysierten gleichzeitig aber auch Dogmatik und Möglichkeiten transformativer Rechtssetzung. Am anderen Ende des Spektrums präsentierten Forscher/-innen im Bereich moderner Technologien ihre praktischeren Fallstudien: Diese erörterten das Potential Künstlicher Intelligenz innerhalb der Nachhaltigkeitsberichterstattung, stellten ein reparables Smartphone mit deutlich geringerem ökologischen Fußabdruck und Untersuchungen zu Aktivkohle aus Bioabfall im Rahmen der Siedlungswasserwirtschaft vor.

Eine Vermittlungsfunktion ist vor allem den Bereichen Bildung und Strategien zuzusprechen. Als Brücke zwischen Gegenwart und Zielvorstellung präsentierten Forscher/-innen aus den Fachgebieten Pädagogik und Schule Nachhaltigkeitskonzepte für Lehre und Professionalisierung, die aktuellen Fragestellungen des Service Learning, der genderkompetenten Bildung oder allgemeiner Interdisziplinarität nachgingen. Daneben beschäftigten sich die Strategiebeiträge eingehend mit den Vorteilen eines Vulnerabilitätskonzeptes oder der Überwindung des Kapitalismus, bspw. mithilfe eines Degrowth-Ansatzes für einen neuen Arbeitsbegriff oder der Umsetzung der Agenda 2030 auf kommunaler Ebene. Die darin stets aufgegriffenen Sustainable Development Goals (SDGs), deren Umsetzung und kritische Reflexion sich auch das Kassel Institute verschreibt, wurden dabei ebenfalls auf Widersprüchlichkeiten untersucht und kritisch beleuchtet.

Der rege Austausch um den Prozess der sozial-ökologischen Transformation wies dabei einmal mehr auf die Notwendigkeit einer gemeinsamen Basis hin. Sowohl semantisch als auch normativ sei es unabdingbar, die Begrifflichkeiten festzulegen und die mühsame Realisierung dieser Ideale als vor- und nachteilhaften Prozess im Werden zu begreifen, so Kristina Dietz und Andreas Fischer-Lescano gegen Ende des Workshops.

Im Rahmen eines Fish-Bowl-Gesprächs schloss die Veranstaltung Samstagnachmittag mit gemeinsamen Reflektionen, Ideen und Verbesserungsvorschlägen für weitere Zusammentreffen. So fiel insbesondere die Übersetzungsarbeit zwischen den jeweiligen Disziplin-Sprachen ins Gewicht und soziale Belangen sollten in Zukunft noch mehr Beachtung finden. Gleichzeitig riefen gemeinsame Arbeitsaufgaben zu neuen Treffen auf, bspw. der angemessene Umgang mit reaktionärem Widerstand und eine zufriedenstellende Vermittlung besprochener Inhalte an ein breiteres Publikum.

Am Freitag hatten zudem Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Gruppen der Klimagerechtigkeitsbewegung im UNI:Lokal (SDG+ Lab) der Universität Kassel “Wege aus der sozialökologischen Katastrophe” diskutiert. Die Podiumsdiskussion wurde von Prof. Kristina Dietz moderiert. Mit über 160 Besucher:innen war die Veranstaltung ein voller Erfolg.