22.06.2023 | Porträts und Geschichten

Wo Shakespeare seine Stücke her hat ...

Die „Red Brick Company“ bringt diesen Sommer alte Klassiker neu auf die Bühne. Davon profitiert nicht nur das Publikum.

Schon auf dem Flur ist hysterisches Lachen zu hören. Komische, verzerrte Stimmen und Dialekte kommen mir aus dem Probenraum entgegen. Ich trete ein – ah, die Hexen versammeln sich schon. „Will Shakespeare ist ein Lügner, ein Betrüger, ein Dieb!” – hört, hört. Die Probe hat bereits begonnen. Drei spielen eine Szene, Text noch in der Hand, aber schon mit vollem Einsatz. Drei weitere schauen zu und tauschen vielsagende Blicke aus. Eine Jury? Fast, es ist die Regie. Es herrscht ansteckend gute Laune im Raum, ich höre viel Gelächter und spüre die positive Energie. Das sind sie also, die „Red Bricks“.

Diesen Sommer ist ihr Projekt ambitioniert: „Shakespeare – Cut and in One Piece“ heißt das aktuelle Vorhaben der Red Brick Company, des englischsprachigen Studierendentheaters der Uni Kassel unter der Leitung von Lars Heiler. Heute starten die Proben. Sämtliche Dramen von Shakespeare (es sind tatsächlich 38) an einem Abend aufzuführen – wie kann das gelingen? „CUT und nochmal!“ Die Szene endet abrupt und es gibt einen Rollenwechsel: „Du bist diesmal die clevere Hexe, du die neutrale – und du die dumme“, ruft Elisa aus der Regie, die erst letztes Semester dazu gestoßen ist. Also auf ein Neues. Die drei Schauspielenden auf der Bühne (an diesem Abend eine freigeräumte Fläche in einem Seminarraum im KW 5) schleichen erneut und doch ganz anders um den als Gartenabfallsack getarnten Hexenkessel herum. Auf die Zeile „ein gewisser ... William Shakespeare!“ folgt lautstarkes Schaudern – eine ungewöhnliche Reaktion, würden manche sicherlich sagen.

Lars Heiler erklärt mir kurz die Rahmenhandlung des Stücks: Die drei Hexen versuchen ihre von William Shakespeare geklauten Stücke zurückzuholen. „Dadurch bilden sie das verbindende Element zwischen den vielen aufgegriffenen Dramen“, so seine Idee. Das vom fünfköpfigen Kreativteam verfasste Skript ist also mehr frei als getreu nach Shakespeare. Und was war die Motivation hinter dieser Entscheidung? „Sportlicher Ehrgeiz“, scherzt Heiler. Aber auch eine finanzielle Abwägung liege der Entscheidung zugrunde, denn in den letzten Semestern hat die Gruppe viele neuere Stücke aufgeführt und für diese seien die Lizenzgebühren recht hoch. Die anfängliche Reaktion der Gruppe auf seinen Vorschlag war eine gesunde Mischung aus Interesse und Skepsis. Inzwischen aber steht das Skript und die Begeisterung hat klar gesiegt. Grundsätzlich bildet aber etwas anderes das wichtigste Kriterium bei der Auswahl der Stücke, sagt er: „Es soll immer etwas sein, das die Gruppe zusammenschweißt – aber auch die Leute gut unterhält.“ Daher bevorzugen sie meist – wenn auch nicht immer – Komödien. Der Humor der Theatergruppe bewege sich dabei irgendwo zwischen skurril und makaber (an dieser Stelle sei angemerkt, dass alle Anwesenden im Raum dieser Aussage lachend und enthusiastisch zustimmten.

"Shakespeare – Cut and in One Piece"

Aufführungen
27.6. (Premiere) / 28.6. / 2.7. / 5.7. / 9.7.
jeweils um 20 Uhr im Kulturzentrum Färberei
Eintritt: 5 € (Studierende), 10 € (regulär)

Ihr findet die „Red Bricks“
... auf Instagram: @redbrickcompany
... auf ihrer Website: redbrickcompany.weebly.com
... an der Uni: einfach persönlich ansprechen

An der aktuellen Produktion sind stolze 15 Schauspielerinnen und Schauspieler beteiligt. Hinzu kommt ein vierköpfiges Regie Team. Dies ist aber eine überdurchschnittliche Zahl an Mitwirkenden für die Red Bricks. Üblicherweise besteht die Besetzung eher aus acht bis maximal zehn Personen. „Dieses Semester gab es endlich wieder einen großen Andrang von neuen Interessierten“, freut sich Josef, der bereits seit 2015 in der Theatergruppe mitwirkt; nach den Corona-Jahren sei die Lust auf Kultur nun wiedererwacht. Eins darf man dabei nicht vergessen: Dieses Studierendentheater ist englischsprachig. Eine Herausforderung für die Schauspielenden stellt also nicht nur die Bühne dar, sondern auch das Auftreten (für die meisten) in einer Fremdsprache. „Das ist aber eine gute Challenge, es gibt uns eine tolle Gelegenheit, wirklich intensiv die englische Sprache zu üben und uns damit auszuprobieren“, betont Raphaela. Weniger überraschend mag daher sein, dass die meisten Mitglieder Anglistik oder Amerikanistik studieren oder internationale Studierende und „native speaker“ sind. Allerdings kommen zu den „Auditions“ auch immer wieder Schauspielbegeisterte aus komplett fachfremden Bereichen und mit den unterschiedlichsten Hintergründen – herzlich willkommen sind dabei natürlich alle, ob Bachelor, Lehramt oder Master, 18 oder 28, Informatikerin oder Soziologe.

Gegründet wurde die Theatergruppe bereits 2007, von niemand anderem als Lars Heiler. Seine seit 15 Jahren anhaltende Motivation, sie zu leiten, begründet er folgendermaßen: „Das Zwischenmenschliche ist ein riesiger Faktor. Theater hält jung. Und es ist wie eine Therapieform, es ist für mich wirklich das Sahnehäubchen jedes Semesters.“ Kein Wunder, dass er in all den Jahren noch kaum eine Vorstellung verpasst hat. Und im Raum höre ich erneut von allen Seiten Zustimmung. Das Theater spielen sei ein Loslassen, ein Eintauchen in eine andere Welt und gelebte Kreativität. Niemand möchte es missen. Und was macht die Red Brick Company aus? Auch hier sind sich sofort alle einig: Die Gemeinschaft. Spaß, gegenseitiger Support und geteilter Humor sichern bei den Mitgliedern auch bei Proben am späten Abend die nötige Energie und Begeisterung. Vor allem im Sommer unternimmt die Gruppe außerdem auch privat gerne etwas zusammen, sie gehen zum Beispiel nach den Proben gemeinsam essen. Ich spüre, es gibt hier keine strengen Hierarchien. Alle bringen ihre Ideen ein, alle werden gehört. Oder wie Heiler über seine eigene Rolle sagt: „Naja... Ich habe halt den Schlüssel zum Probenraum.

Aber nochmal zurück zur Probe. Auch wenn das Stück auf alten Klassikern beruht, merke ich schnell, es ist reichlich geschmückt mit modernen Anspielungen. Und natürlich darf dabei die ein oder andere musikalische Einlage nicht fehlen. Zum Abschluss begleiten mich also drei Hexenstimmen im Gesange vereint hinaus in den Abend: „The Tempest almost never fails, and Antony will never ever kiss ol’ Cleopatra – weee didn’t start the fire, it was always burning ...“

Bild: Andreas Fischer.

Dieser Beitrag erschien im Universitäts-Magazin publik 2023/2. Text: Lisa-Maxine Klein