07.06.2021 | Pressemitteilung

Ende mit der Wasser-Autobahn: Die Diemel darf wieder natürlicher fließen

Die Diemel ist ein Nebenfluss der Weser, der wie die meisten anderen Flüsse durch den menschlichen Einfluss stark verändert worden ist. Um die Diemel bei Marsberg wieder näher an ihren natürlichen Zustand zurückzuführen, hat ein Kooperationsprojekt der Universität Kassel, des Planar e.V. und des Marsberger Wasserverbandes Diemel den Fluss „entfesselt“.

Bild: Jens Eligehausen.
links: Beginn der Maßnahmenumsetzung im März 2020. rechts: Blick auf die gleiche Maßnahme Anfang Juli 2020.

„Die obere Diemel ist ein idyllisches Fleckchen Erde. Seltene Tier- und Pflanzenarten leben dort. Doch aus ökologischer Perspektive ist der Fluss weit weg von einem naturnahen Zustand. Dabei war das Ziel der Wasserrahmenrichtlinie der EU ursprünglich, dass bis 2015 alle Oberflächengewässer in einem guten ökologischen Zustand sein sollten“, berichtet Jens Eligehausen, Lehrbeauftragter Landschafts- und Vegetationsökologe an der Universität Kassel und Mitgründer des Vereins Planar e.V., das Planungsnetzwerk für nachhaltige Regionalentwicklung.

Die Menschen passten die Diemel bereits vor knapp 200 Jahren ihren Lebensumständen an. Der Verlauf wurde verändert, Ufer begradigt, Ackerland gewonnen oder Bergbau betrieben. Ein Korsett aus Stein und die Begradigungen machten die Diemel zur Wasser-Autobahn. Das hat viele Pflanzen- und Tierarten verdrängt, die strömungsberuhigte Flachwasserzonen und lockeren Kies zum Leben benötigen.

„Natürlich können wir den alten Zustand nicht 1:1 wiederherstellen. Aber wir können an den wichtigsten Stellschrauben drehen“, erklärt Eligehausen. Das Gewässer kann sich nun seitlich verlagern, zudem besteht die vormals verdichtete, lebensfeindliche Sohle aus lockerem Kies. Mit diesem Ansatz hat der Planar e.V. in Kooperation mit der Uni Kassel und dem Wasserverband Diemel (Marsberg) seit 2015 die Renaturierung von ungefähr 600 Metern Fließgewässer angestoßen. Die Umsetzung sei sehr kosteneffizient verlaufen: „Unsere Maßnahmen konnten wir für wenige tausend Euro umsetzen“, berichtet der Gewässerökologe Eligehausen.

Studierende entwickelten Planungsideen

Eligehausen beteiligte Studierenden der Landschaftsplanung oder aus dem Umweltingenieurwesen im Rahmen seiner Lehrveranstaltungen am Projekt. Die Studierenden entwickelten auch eigene Ideen, basierend auf drei verschiedenen Maßnahmenkategorien:

  1. Entfernen von Uferbefestigungen zur Förderung und Wiederherstellung von dynamischen Prozessen
  2. Initiale Modellierung von Instream-Strukturen wie Kiesbänke und Etablierung von Totholzstrukturen
  3. Schaffung von Nebengerinnen und strömungsberuhigten Flachwasserzonen für Jungfische, Amphibien und andere semiaquatische Arten

Mithilfe von Geoinformationssystemen (GIS) identifizierten die Studierenden geeignete Bereiche für mögliche Maßnahmen, deren größere Umsetzung im April 2020 erfolgte. Es wurden drei Nebengerinne, drei unterstromig angebundene und ein bei höheren Abflüssen angeschlossener Altarm angelegt. Bei der Kontrolle des Fischbestandes durch die Universität Kassel im Juni 2020, konnten die Studierenden bereits erste Erfolge nachweisen. „Wir fanden Elritzen in der oberen Diemel und Äschenlarven stromauf der WEPA-Papierfabrik“, sagt Eligehausen höchst erfreut. „Die Funde zeigen die hohe arten- und stadienspezifische Bindung an selten gewordene Lebensraumstrukturen. Und es zeigt, dass unsere Maßnahmen schnell und kosteneffizient funktionieren.“

Ein Modell für alle

Die Ergebnisse des Projektes “Die Diemel entfesselt“ wurden offen einsehbar veröffentlicht unter: www.diemel-entfesselt.de. Für die Erhebung der Daten wurde freie Software verwendet, für jeden sei der Workflow transparent einsehbar. „Für mich geht es darum, auch andere Leute ohne Hemmschwelle in die Lage zu versetzen, selbst tätig zu werden. Damit können sich auch Ehrenämtler und Bürger vor Ort für ihre Gewässer einsetzen. Das ist ein sehr attraktiver Ansatz für andere Gemeinden und Gewässer“, betont Eligehausen. Zusammen mit der wissenschaftlichen Begleitung durch die Universität konnte das Projekt flächendeckend zudem kostengünstig arbeiten.

Der Ansatz stößt auch auf großes Interesse bei anliegenden Unternehmen. Kürzlich hat die Firma WEPA eines ihrer Grundstücke an der Diemel zur weiteren Renaturierung zur Verfügung gestellt. Die Maßnahmen auf dieser Fläche haben bereits begonnen.

 

Weitere Infos:

Die Entwicklung der aktuellen Renaturierungsmaßnahmen wird in den kommenden Monaten im Rahmen von Lehrveranstaltungen ökologisch begleitet und die Ergebnisse zukünftig auf der Website www.diemel-entfesselt.de veröffentlicht. Aktuell ist die Website mit vorläufigen studentischen Arbeitsergebnissen gefüllt und wird in den kommenden Monaten nochmals grundlegend überarbeitet.

 

Kontakt:

Jens Eligehausen
E-Mail: eligehausen@uni-kassel.de