30.09.2022 | Podcast

Wetterstationen für die Artenvielfalt

Mit Massen-Methoden versuchen Prof. Dr. Birgit Gemeinholzer und ihr Team zu erfassen, welcher Artenreichtum an einer bestimmten Stelle vorhanden ist. Dafür bauen sie Stationen auf, die Wetterstationen ähneln, aber viel mehr können - bis hin zur "Gesichtserkennung" von Motten.

Birgit GemeinholzerBild: Sonja Rode.
Prof. Dr. Birgit Gemeinholzer.

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Es ist früh am Morgen, relativ früh am Morgen, und ich bin auf einen Kaffee mit Frau Professor Gemeinholzer verabredet, die unsere neue Professorin für Botanik ist, mit ganz vielen wahnsinnig interessanten Projekten im Gepäck angekommen, unter anderem zur Erfassung der Artenvielfalt. Da gibt es ganz spannende Sachen, die Sie mir schon einmal kurz umrissen haben, Frau Gemeinholzer, und wozu ich Sie jetzt gerne befragen möchte. Guten Tag, liebe Hörerinnen und Hörer, guten Morgen, Frau Gemeinholzer.

Guten Morgen, Herr Mense. Ich freue mich, dass Sie da sind.

Frau Gemeinholzer, ich habe vor einigen Jahren, das ist jetzt schon etwas her, mal an einer Insekten-Zählung teilgenommen. Da sind wir in gebückter Haltung über eine Wiese gestakst und haben geguckt, was wir so an Käfern und Ameisen finden und so weiter. Das war natürlich relativ aufwendig. Das haben wir dann gemeldet an den Naturschutzbund und der hat das zusammengefasst. Die Idee war, eine Ahnung oder einen Überblick zu bekommen, wie viele Insekten jetzt in einem bestimmten Gebiet vorhanden sind. Sie haben, glaube ich, eine bessere Idee.

Ja, wir sind daran zu arbeiten: nicht nur welche Insekten sind in einem Gebiet, sondern auch welche Pflanzen besuchen die Insekten zu welcher Jahreszeit? Also, wie ist die Nahrung? Wie die Verfügbarkeit für Insekten und ob Insekten eigentlich selten geworden sind, weil die Nahrungspflanzen selten geworden sind. So versuchen wir nicht nur die Insekten zu analysieren. Das machen wir in Kooperation mit dem Entomologischen Verein Krefeld und mit dem Museum König in Bonn. Sondern wir versuchen auch zu analysieren, welche Pollen befinden sich auf den Insekten, welche Vegetation ist denn wirklich wichtig für die Insekten in dieser Jahreszeit. Denn die Pflanzen kann man das ganze Jahr über bestimmen. Das ist relativ gut gemacht in Deutschland. Man weiß sehr viel über die pflanzliche Biodiversität, man weiß aber nicht viel über die Ökosysteme, ihre Funktionen. Das ist das, woran wir arbeiten.

Und Sie haben eine Methode entwickelt, das zu automatisieren. Können Sie uns mal erläutern, wie das ausschaut?

Genau. Bisher war dies, diese Interaktion wirklich routinemäßig im Hochdurchsatz zu analysieren, nicht möglich. Denn es haben uns die Methoden gefehlt. Die Insekten sind sehr schwierig. Man braucht jeweils Experten für die verschiedenen Gruppen. Die sind meistens irgendwo in Deutschland verstreut und meist haben sie keine Zeit. Wir von der Botanik wollen die Pollen bestimmen. Auch die haben nicht sehr viele Merkmale, um wirklich den einzelnen Arten zuzuordnen. Was wir aber mittlerweile festgestellt haben: Wir können aufgrund des genetischen Codes, aufgrund der DNA identifizieren, welcher Art entweder die Insekten sind, also Massen-Proben von Insekten nehmen, Insekten-Mischproben analysieren, und wir können auf den Insekten die Pflanzen-Spuren identifizieren. Dadurch wissen wir, zu welcher Jahreszeit wir welche Insekten-Pflanzen-Interaktionen haben. Wir haben uns international geeinigt auf bestimmte Regionen auf der DNA, die DNA ist ja unheimlich lang. Wir wollen nur ein ganz kleines Stück der DNA nehmen und anhand dieses kleinen Stückes, das wir lesen können, das nennt man Sequenzieren... mit dieser Sequenzierung bekommen wir ein Stück der DNA und die testen wir gegen eine Referenz-Datenbank.

Das ist wie wenn Sie zum Beispiel Herrn Schmitt bei Google suchen und Sie geben das ein und Google findet automatisch alle Schmitts, die Sie haben möchten. Und so kriegen wir das auch in der Referenz-Datenbank, dass wir ein Stück der DNA nehmen und diese Nukleotide gegen die Referenz-Datenbank blasten und dann versuchen, gleiche Sequenzen zu finden. Und dann sagt es uns, welche potenziellen Kandidaten eben ähnlich zu meiner Sequenz sind, die ich auf meinem unbekannten Insekt gefunden habe, oder auf dem Pollen, das auf dem Insekt gewesen ist. So können wir wirklich Nahrungsketten identifizieren.

Okay, das ist interessant. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist diese Art, die Proben zu sammeln, etwas Neuartiges, was Sie mal mit einer Wetterstation verglichen haben. Vielleicht können Sie das mal uns und unseren Hörerinnen und Hörern erläutern, wie das funktioniert...

Ja, momentan ist es so schwierig, denn die Botaniker gehen zu einer bestimmten Jahreszeit an einen bestimmten Ort. Wir haben nie überlappende Daten. Was wir aber brauchen, um vielleicht Biodiversitätswandel im Zeitalter von Klimawandel monitoren zu können, also diese Verschiebungen auch erkennen zu können, sind Wetterstationen für Artenvielfalt. Das heißt, dass zum gleichen Zeitpunkt an der gleichen Stelle die gleichen Sensoren automatisch Insekten, Pflanzen und noch weitere Tiergruppen sammeln, damit wir wirklich sagen können, ob die ganzen Lebensgemeinschaften noch intakt sind oder ob sie sich verschieben und wie sie sich verschieben. Also bauen wir Wetterstationen für Artenvielfalt, ähnlich wie Klimastationen, und hoffen, dass wir vielleicht in Zukunft sogar auch dann Biodiversitäts-Veränderungen modellieren können.

Das heißt, diese Wetterstationen, die fangen automatisch Insekten beispielsweise ein.

Genau. Momentan gibt es nur Prototypen. Die sammeln jetzt in regelmäßigen Intervallen und wir schauen, welche Organismen-Gruppen wir in welchen Intervallen wie sammeln und welche Individuen wir damit gefunden haben.

Und die Stationen habe ich gelesen, die haben auch Ohren und Augen und sogar Nasen.

Also die Botanik und das Museum König und der Entomologen-Verein in Krefeld, wir sind für die Insekten zuständig und für die Pflanzen dazu. Dann gibt es aber noch Gruppen, die machen Arbeiten mit Fotofallen für größere Säugetiere und Vögel.

Fledermäuse beispielsweise?

Genau. Dann gibt es Sensoren für Bilderkennungserfahren, Motten-Scanner. Welche Motten kommen nachts gegen eine Leinwand oder kann man die fotografisch erkennen?  Gibt es eine dreidimensionale Wiedererkennung? Da versucht man sich Algorithmen von Gesichtserkennung von Google zunutze zu machen. Und damit versuchen wir, Erkennungsmerkmale zu generieren.

Also Gesichtserkennung für Motten quasi. Das ist ja nicht schlecht. Was haben Sie denn bislang für Schlüsse aus den Daten ziehen können? Haben Sie da schon Ergebnisse?

Bisher sind wir eher an der Prototyp-Entwicklung und analysieren, inwieweit haben die unterschiedlichen Fallen und Sensoren Einfluss aufeinander. Also wenn zum Beispiel die Maschine wechselt, was für ein Einfluss hat das auf den Sensoren? Oder was für Einfluss haben Umwelt-Geräusche? Wenn die Wiese neben dem Sensoren-System gemäht wird, können wir das rausfiltern? Wir sind momentan noch sehr viel mit diesen ganzen Nebeneffekten beschäftigt. Deswegen eben nur diese Prototypen, die an zwei Standorten in Deutschland stehen. Und der dritte, den versuchen wir gerade aufzubauen.

Kommt er nach Nordhessen, haben wir da Glück, dass hier einer hinkommt?

Momentan leider nicht, weil ich eben erst sehr neu hier in Kassel bin, da habe ich nicht hier geschrieben. Momentan stehen die Standorte in Bonn, in der Nähe von Berlin und in Hamburg.

Okay. Sie haben noch ein anderes Projekt, wie ich gesehen habe, das sich nicht mit der Gegenwart oder den Schlüssen für die Zukunft beschäftigt, sondern mit der Vergangenheit und daraus Schlüsse zieht. Sie haben das Stichwort Pollen ja schon genannt, das ist das eine Stichwort, das andere Stichwort Hummel. Was verbirgt sich dahinter?

Genau, in unseren automatischen Fallen versuchen wir zu analysieren, welche pflanzlichen Spuren werden von den Insekten in die Fallen getragen? Das ist eine Mischprobe, und wir können nur sagen, zu welchen Jahreszeiten welche Pflanzen benutzt werden. Jetzt interessiert uns aber eigentlich auch das Individuum. Also: Welche Hummel besucht welche Pflanze zu welchen Jahreszeiten? Das versuchen wir in einem historischen und rezenten Kontext. Rezent ist das, was wir jetzt hier haben. Und historisch ist das, was früher gewesen ist. Wir beisammeln Hummeln in naturkundlichen Museen.

Sie gehen da tatsächlich in die Archive oder in die Ausstellungsräume der Museen und schauen sich an, was für Bienen - und Hummeln in dem Fall - dort noch Pollen an den Beinen tragen?

Genau: auf dem Körper haben oder an den Beinen tragen. Und die sammeln wir, die dürfen wir beproben. Dann schauen wir: Was haben die früher gesammelt und was sammeln sie heute? Wir haben jetzt ein Projekt abgeschlossen, wo wir genau an dem gleichen Standort zum gleichen Zeitpunkt wieder gesammelt haben. Wir haben ganz unterschiedliche Präferenzen jetzt festgestellt. Ein neues Projekt versucht gerade zu analysieren, ob sich einfach durch den Klimawandel die Blütezeitpunkte der Pflanzen verschoben haben, sodass wir jetzt einen Zeitraum sammeln, um zu analysieren, ob sich wirklich die Nahrungsangebot verändert hat oder wie das zusammensteht. Also wir versuchen zu analysieren, ob diese Nahrung, die wir gerade den Insekten in Naturschutzgebieten zur Verfügung stellen, einfach so eine Not-Nahrung ist, weil sie nichts besseres finden, oder ob sie das auch wirklich präferieren würden und sie das auch früher präferiert haben.

Der Speiseplan hat sich geändert, das kann man schon mal sagen?

Ich vermute ja.

Ja, vielen Dank. Da sind wir gespannt. Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Gemeinholzer, für das Gespräch und für den leckeren Kaffee.

Dankeschön, dass Sie da waren.

 

Gespräch: Sebastian Mense