06.03.2023 | Pressemitteilung

Untersuchung auf Nano-Ebene: Forscher sind tierischem Klebstoff auf der Spur

Ein internationales Forscherteam ist dem Geheimnis eines verblüffenden Klebstoffs aus der Tierwelt ein Stück nähergekommen. Mit diesem Sekret gehen sogenannte Stummelfüßer auf Jagd, eine Tiergruppe mit einigen ausgefallenen Eigenschaften. Die neuen Erkenntnisse könnten dabei helfen, wiederverwendbare Biomaterialen für medizinische oder industrielle Zwecke zu entwickeln.

Bild: CC BY Baer et al. 2018, ACS Nano.
Fotografie eines Vertreters der Art Euperipatoides rowelli beim Ausstoßen von Schleim durch die Schleimpapillen.

Die australische Stummelfüßer-Art Euperipatoides rowelli erbeutet kleinere Insekten und verteidigt sich, indem sie aus zwei Düsen an ihrem Kopf eine klebrige Flüssigkeit ausstößt. Im Kontakt mit Oberflächen und durch Ziehen bilden sich in dem Sekret augenblicklich zugfeste Fasern. Je mehr das gefangene Tier zappelt, desto fester werden diese. 

Prof. Dr. Georg Mayer, Leiter des Fachgebietes Zoologie der Universität Kassel, und Dr. Alexander Bär, Mitarbeiter im Fachgebiet, untersuchen bereits seit 2012 die Funktionsweise und den Aufbau der klebrigen Substanz. In einer vorangegangenen Studie, die 2017 veröffentlicht wurde*, hatten sie festgestellt, dass das Sekret nach seiner Verfestigung auf nahezu allen Oberflächen haftet und sich nach einer Weile wieder in seine flüssige Ursprungsform zurückentwickelt. Die bisherige Vermutung: Der Schleim der Stummelfüßer-Art besteht aus winzigen, einheitlich großen, kugelartigen Protein-Lipid-Strukturen, sogenannten Nano-Kügelchen. Beim Berühren des Schleims, so die damalige Hypothese, verformen sich diese Kügelchen zu Mikrofasern aus einem zugfesten Eiweiß-Kern und einer klebrigen Oberfläche.

Um diese These weiter zu untersuchen, arbeiteten die Forschenden nun in einer neuen Studie zusammen mit Prof. Dr. Emanuel Schneck, Professor am Institut für Physik an der Technischen Universität Darmstadt, mit Neutronenstrahlen, die sich wie die Wellen von Licht verhalten. Aus der Richtungsabhängigkeit, in der diese Wellen von der Probe abgelenkt werden, ließ sich errechnen, wie der Schleim wirklich aufgebaut ist. „Zu unserem Erstaunen stellten wir fest, dass zwar einheitlich große Nano-Kügelchen im Schleim vorhanden sind, große Proteine, aus denen die zugfesten Fasern gebildet werden, jedoch gar nicht in diesen Kügelchen stecken, sondern frei in dem Sekret vorkommen. Die Funktion der Nanokügelchen muss also grundlegend überdacht werden“, so Dr. Alexander Bär.

Außerdem wirkten die Forscher mit Ultraschall auf das Sekret ein. So konnten sie unter Ausschluss von Umgebungsluft und ohne die Substanz mit anderen Oberflächen in Berührung zu bringen, Scherkräfte erzeugen. Dabei bildeten sich keine Fasern und auch die innere Struktur des Schleims veränderte sich kaum. Ihre Schlussfolgerung: Für die Zusammenlagerung von freien Proteinen zu stabilen Fasern benötigt es mehr als nur mechanische Einwirkung auf das Sekret.

Die Forscher vermuten nun, dass die Nanokügelchen und angrenzende Oberflächen als Anlagerungspunkte dienen, an denen sich die Proteine ansammeln und zu zugfesten Fasern assoziieren. Austrocknung des Sekrets durch Umgebungsluft könnte die Formveränderung des Schleims zusätzlich vorantreiben.

Ihrem Ziel, die Substanz so gut zu erforschen, dass seine Wirkmechanismen reproduzierbar werden, sind die Forscher damit abermals ein großes Stück nähergekommen. Synthetisch hergestellte Materialien, die diese Wirkmechanismen aufweisen, könnten beispielsweise als wiederverwertbare und naturverträgliche Klebstoffe in der Medizin oder der Industrie von großem Nutzen sein.

Die Studie mit dem Titel „The internal structure of the velvet worm projectile slime: A small-angle scattering study” wurde am 24.02.2023 in der Zeitschrift „Small“ veröffentlicht: https://doi.org/10.1002/smll.202300516

*Die Universität berichtete:

https://www.uni-kassel.de/uni/aktuelles/meldung/2017/10/17/tierischer-sekundenkleber-entschluesselt?cHash=82e57c1f586dcb92e983936c3a3d7232

 

Kontakt:

Prof. Dr. Georg Mayer

Institut für Biologie - Fachgebietsleitung

Tel.: 49 561 804-4805

E-Mail: gmayer@onychophora.com